Kritik zu Zwischen den Jahren

© Temperclayfilm

2016
Original-Titel: 
Zwischen den Jahren
Filmstart in Deutschland: 
16.03.2017
L: 
97 Min
FSK: 
12

In seinem Kinodebüt inszeniert Lars Henning beklemmend langsam und still eine Geschichte von Rache und Sühne und wie ein Verbrecher zum Opfer seiner eigenen Tat wird

Bewertung: 4
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»Sind Sie jetzt ein anderer Mensch?« Die Frage fällt während einer der wenigen langen Dialoge in einer der vielen beklemmenden Szenen dieses Films. Da sitzen sich zwei Männer an einem langen Tisch in einem Chinarestaurant gegenüber, jeder am entgegengesetzten Ende, jeder eine Schale Tee vor sich, eine Kanne in der Mitte. Im Hintergrund sieht man eines dieser riesigen bunten chinesischen Bilder mit Vögeln. Sie sind einsam, diese beiden Männer, halten Distanz zueinander in diesem so beklemmend komponierten Bild. Der eine ist Dahlmann (Karl Markovics), ein bärtiger, hagerer Typ, der andere Becker (Peter Kurth), grobschlächtig, wortkarg, mit den typischen Knasttattoos auf den Händen. Dahlmann hat vor fast 20 Jahren bei einem Raubüberfall im eigenen Haus Frau und Tochter verloren, Becker war der Täter. 18 Jahre lang hat er seine Strafe abgesessen. Er bleibt Dahlmann die Antwort auf die Frage schuldig. Auch Regisseur Lars Henning hält sich in seinem Drama »Zwischen den Jahren« mit Antworten zurück, er erzählt seine Geschichte wie um der Geschichte Willen – die Geschichte eines verurteilten Zweifachmörders, der zurück ins Leben finden will.

Becker will seine Ruhe, arbeitet als Nachtwächter in einem Betrieb, irgendwo im trostlosten Umland von Köln. Seine Wohnung liegt in einer grauen Hochhaussiedlung, die Tapete ist wellig, sein Essen kommt aus Styroporkisten. Er redet nicht viel, zeigt keine Gefühle, außer wenn er die Hunde für seine nächtlichen Runden aus dem Zwinger holt. Eines Abends sitzt er in der U-Bahn, als Dahlmann ihn vom Bahnsteig aus erblickt – ein Motiv, das schon bei Hennings Fernsehfilm »Kaltfront« die Geschichte ins Rollen brachte. Mit dem Unterschied, dass sie dort in der kühlen Ästhetik der Frankfurter Bankentürme spielte. Nun ist es die Hoffnungslosigkeit einer sterbenden Industrieregion, eines Ex-Knackis zwischen Multiplexkinos, Pornobuden und kriminellen Rockern.

Becker versucht nicht, sich ein soziales Leben aufzubauen – zumal sein aggressives Potenzial und seine rassistische Gesinnung immer mal wieder durchbrechen. »Ich bin nicht so gut mit Menschen«, sagt er gleich zu Beginn. Doch dann sind da Menschen, die sich für ihn interessieren: sein armenischer Kollege (Leonardo Nigro), ein Expolizist, der selber mal »Scheiß gebaut hat«, und die Putzfrau Rita (Catrin Striebeck), mit der sich eine Beziehung entwickelt. Rita stellt keine Frage, will nicht wissen, warum er gesessen hat, was mit seiner fast erwachsenen Tochter ist, die sie zufällig im Kino treffen. Sie ist fast penetrant verständnisvoll, lässt Becker in ihr Leben mit ihrem kleinen Sohn. Ein kleines, bescheidenes Idyll, in das Becker eintaucht – und das ihm Dahlmann nehmen will. »Sie wollen ein neues Leben anfangen? Warum bekomm' ich kein neues Leben?«, will der wissen, der alles verloren hat.

Ohne viele Worte und in langen Detaileinstellungen schildert Henning, wie sich die Täter-Opferkonstellation verschiebt. Er bezieht keine Position, wirbt nicht für Verständnis oder Sympathie und erzählt auf diese Weise eine Geschichte von Rache und Sühne, wie man sie nur selten im Kino sieht.

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