Kritik zu Staudamm

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Thomas Sieben rekonstruiert die Geschehnisse eines Schulamoklaufs, indem er zwei junge Menschen auf die Suche nach ihrer eigenen Position zu dem grauenhaften Ereignis schickt

Bewertung: 3
Leserbewertung
3.5
3.5 (Stimmen: 2)

Was macht Roman da eigentlich? Er hockt in seiner Singlebude und spricht Texte ins Mikro, die er auf einem Stick speichert, um sie schließlich an den Staatsanwalt zu schicken. Texte, die bei genauem Hinhören Beunruhigendes offenbaren. Es geht um einen Schulamoklauf in einem kleinen Kaff im bay­erischen Voralpenland. Seltsam teilnahmslos liest Roman die Dokumente ein, der Staatsanwalt hat offensichtlich keine Zeit zum Lesen, sondern widmet sich den Akten lieber als Hörtext im Auto. Selbst auf dessen Frage an seinen Einleser, was er von der ganzen Sache halte, bezieht Roman keine Stellung.

Das ändert sich, als sein Chef ihn an den Ort des Geschehens schickt, um restliche Polizeidokumente abzuholen. Ziemlich genau ein Jahr nach der Tat kommt Roman im Allgäu an und muss mehrere Tage auf die Herausgabe der Akten warten. Ganz nebenbei lernt er Laura kennen, eine junge Frau, die den Attentäter kannte und mit ihm zur Schule ging, aber wie durch ein Wunder beim Amoklauf verschont blieb.

Ganz langsam nähern die beiden sich an. Sie reden nicht viel, aber sind auf einer platonischen Ebene Seelenverwandte. Laura wirkt nach außen ganz taff, aber Roman weiß aus den Aktenvermerken, dass sie nach dem Amoklauf an Selbstmord dachte. Ein ganzer Ort ist traumatisiert durch die Tat. Wie können die Bewohner wieder ins Leben finden, um ihren Alltag zu gestalten?

Der Amoklauf 2002 von Erfurt gab Regisseur Thomas Sieben die Anregung zu diesem Film. Die Versuche zur Erklärung bleiben unbefriedigend. Es steigt die Unsicherheit, denn man weiß nicht, wie ähnliche Taten in der Zukunft zu verhindern wären. Die beiden Attentäter von Columbine, dem Highschool Massaker vom April 1999, haben das Denken über logische Täterprofile ad absurdum geführt. In Staudamm tasten wir uns mit Roman und Laura durch die Geschehnisse des Allgäus, die immer noch so präsent sind wie damals und registrieren eine merkwürdige Anspannung: Hätte es nicht auch einer von ihnen sein können? Man spürt, dass sie sich das selber fragen, denn die Normalität des Täters ist so unwirklich, wie ihr eigenes Davongekommensein als Opfer oder Täter. Diese Spannung ist von der ersten bis zur letzten Szene spürbar. Langsame Einstellungen, zaghafte Gespräche und ruhige Bilder von leeren Straßen im winterlichen Alpenland, all das fügt sich zu einer fragilen Ruhe nach dem Sturm, die niemanden mehr loslässt.

Jeder Ort ist zum Gedenken geworden: Dort hat der Amokschütze gewohnt – die Schule ist bis heute geschlossen – hier rannte er entlang und hier – am Staudamm – hat er sich erschossen. Viele Versuche der filmischen Verarbeitung eines Schulmassakers gibt es bisher nicht, die Angst zu schnell ins Spektakuläre abzurutschen, mag ein Grund dafür sein. Staudamm regt zu Diskussionen an, indem er das Trauma einer ganzen Region retrospektiv zu beschreiben versucht.

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