Kritik zu Schwerkraft

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Mit seinem Debütfilm über einen Bankangestellten, der als Räuber seine eigenen Grenzen sucht, war Maximilian Erlenwein der große Gewinner des diesjährigen Max-Ophüls-Festivals

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Manchmal ist es nur die Schwerkraft, die einen daran hindert einfach abzuheben. Frederik Feinermann (Fabian Hinrichs) hat sich nach der Trennung von seiner Freundin ein gesellschaftliches Korsett geschaffen, das ihn hält. Er hat einen soliden Job in einer Bank angenommen, die Rockband aufgegeben, seine Wohnung schick aber leblos eingerichtet und befindet sich auf dem glanzlosen Weg einer Durchschnittskarriere. Da erschießt sich ein überschuldeter Kunde in seinem Büro, und danach ist nichts mehr wie vorher. Um sich zu spüren, sucht Frederik nun Grenzen, psychische, gesellschaftliche und legale, und begeht einen kleinen Ladendiebstahl. Er wird zwar nicht erwischt, trifft aber auf einen alten Freund und damit auf eine ganz andere Welt. Denn Vince (Jürgen Vogel) hat die letzten sieben Jahre im Knast verbracht.

Gemeinsam beginnen sie nun, bei den wohlhabenden Kunden der Bank einzubrechen, doch mit unterschiedlichen Motiven. Was für Vince nur ein Rückfall in alte Routinen ist, verschafft Frederik eine neue Freiheit. Er entflieht der lähmenden Wohlanständigkeit, verprügelt Skinheads, bedroht seinen schlafenden Chef in dessen Haus und trifft schließlich auch seine Exfreundin wieder, die sich erneut in ihn verliebt. »Du bist die Liebe meines Lebens«, sagt er. »Und du«, entgegnet sie, »die Katastrophe in meinem«. Immer schneller dreht sich das Karussell zu einem einmaligen Soundtrack mit wirklich hitverdächtigen Songs, bis es zu einem überraschenden Ende kommt.

Erlenweins Film ist mehr als ein Psychogramm eines Außenseiters, dem die Anpassung misslingt, es ist ein subtiler Kommentar auf eine Welt, die ganz im Konsum aufgeht und damit selbst nichts mehr anfangen kann. Zu dem Kredit wird die passende Schuldnerversicherung gleich mitverkauft. Bei seinem ersten Einbruch dreht Frederik ein abstraktes Gemälde um – die Welt, die ihm nichts mehr bedeutet, steht nun auch für die anderen Kopf, nur dass sie es nicht einmal bemerken. Aber auch auf der Gegenseite, im kriminellen Milieu, gibt es Hierarchien und Vorschriften, die dem Abenteuer blitzschnell Ernüchterung entgegensetzen. Und erst als die Flucht ein reales Ziel bekommt, Frederik mit Nadine (Nora von Waldstätten) nach Island fahren will, greifen auch für ihn die Gesetze der bürgerlichen Gesellschaft wieder.

Vielleicht hat man Jürgen Vogel, jetzt auch noch ein Bewohner der »Schillerstraße«, in letzter Zeit etwas zu häufig gesehen, doch in dieser Rolle des schweigsamen, finsteren Kleinkriminellen ist er einzigartig. Er spielt Fabian Hinrichs allerdings nicht an die Wand, sondern eher gekonnt die Bälle zu, so dass beide zusammen ein wunderbar homogenes und zugleich rätselhaft ungleiches Paar abgeben. Vor allem dadurch, dass Maximilian Erlenwein dem Druck widersteht, alle Einzelheiten seiner Geschichte auszuerzählen, behält sein dunkles Debüt seine Kraft.

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