Kritik zu Population Boom

© Mindjazz Pictures

Vor Überbevölkerung wird gewarnt: Werner Boote reist in seinem neuen Dokumentarfilm um die Welt und entlarvt ein Schreckgespenst

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Die Sorge ist alles andere als neu. Im Januar 1960 machte das amerikanische »Time-Magazine« mit einer Collage von Müttern verschiedener Hautfarbe und Bekleidung mit Babys auf dem Arm auf. »That Population Explosion« war die Headline. Die Weltbevölkerung war gerade auf über drei Milliarden gestiegen. Der österreichische Dokumentarfilmer Werner Boote (Plastic Planet) beginnt sein neuestes Werk Population Boom mit einer anderen Wegmarke der »Bevölkerungsexplosion«: 2011 wurde die Sieben-Milliarden-Grenze überschritten. Unter der Prämisse, eben diesen 7 000 000 000. Erdenbürger zu begrüßen, gab es zahlreiche Sondereditionen und Veranstaltungen, und den Tenor fängt Boote in seinem Film ganz gut ein: Man feiert nicht, sondern man warnt und raunt und stöhnt. Der Blick, auch der von Bootes Film, richtet sich oft als erstes nach China, passenderweise auf die dort im Smog fahrenden Autos: »Wenn die alle auch noch Auto fahren wollen…«, so der Schreckensgedanke, den die übrige Welt dazu seit über 50 Jahren hat.

Das Schreckbild der Überbevölkerung, so erfährt man bei Boote, ist aber noch älter. Dass die Erde und ihre Ressourcen nicht für alle ausreiche, behauptete der britische Ökonom Thomas Malthus schon an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert – dabei zählte die Menschheit damals erst knapp eine Milliarde. Die Angst ist also das eine, die Realität eine andere. Letztere zu erforschen reist Boote in die weite Welt, überall dahin, wo sich die Menschen drängen: in die USA, nach China, nach Afrika, nach Bangladesh – und filmt sich dabei. Aus dem Off hört man ihn unterdessen über die Fragen räsonieren, die sein Film stellt. Von Zeit zu Zeit überlässt er einem Gesprächspartner das Wort. Ein UN-Vertreter redet über seine Vorschläge zur Familienplanung in Afrika. Ein Mann mit Bart und einem Boot schimpft auf die Banker und Aristokraten, die die Welt beherrschen. Ein Chinese appeliert für das Ende der Ein-Kind-Politik in seinem Land. Eine Frau in Bangladesh legt dar, dass die Rede von den »zu vielen« sich immer auf die anderen und Armen bezieht.

Dazu sammelt Boote eine Reihe von schönen Bildern von sich ein: er in der Menschenmenge in Tokyo, er in der Menschenmenge in Namibia, er in der Menschenmenge von Dhaka. Mit seiner stattlich-großen Figur, seinem bubenhaften, aber weißen Haarschopf und dem stets gleichbleibend naiv-freundlichen Gesicht bildet er immer wieder einen skurrilen Kontrastpunkt in den ihn umgebenden »Massen«. Echte Erkenntnisse lassen sich aus diesen Aufnahmen aber nicht gewinnen. Denn volle Straßen und volle Slums sagen recht wenig über tatsächliche Bevölkerungsverhältnisse aus. Weshalb die Sequenz, die filmisch am meisten Sinn macht, die ist, in der Boote sich die unbewohnten Weiten Afrikas zeigen lässt. Von Überbevölkerung in Afrika zu reden, so sein dortiger Gesprächpartner, ergibt statistisch keinen Sinn: der ganze Kontinent ist alles andere als dicht bewohnt, erst recht im Vergleich zu Westeuropa.

Leider gelingen Boote in Population Boom nur wenige solcher einleuchtenden Pointen. Obwohl er sich mit diesem Film engagiert für eine Kritik am Konzept der Überbevölkerung einsetzt, geraten ihm die Antworten einfach zu pittoresk.

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