Kritik zu Plan 75

© fugu Filmverleih/First Hand Films

Die japanische Regisseurin Chie Hayakawa zeichnet die düstere Vision einer nahen Zukunft, in der alte Menschen keinen Platz mehr finden

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Als Menschen können wir nicht selbst bestimmen, ob wir geboren werden. Aber wir haben die Wahl zu entscheiden, wann es Zeit ist zu sterben.« Nein, das ist kein Auszug aus dem Traktat eines Lebensmüden. Mit diesem Spruch wirbt ein TV-Spot für den »Plan 75«. So lautet auch der Titel von Chie Hayakawas Film. In ihrem Regiedebüt spielt die japanische Regisseurin die dystopische Vision einer bürokratisch durchorganisierten Agentur für Sterbehilfe durch. Menschen, die das 75. Lebensjahr vollendet haben, wird der betreute Freitod subventioniert. In einer Gesellschaft, in der Menschen immer älter werden, sollen sie dem Staat nicht weiter zur Last fallen.

Neu ist dieses Motiv nicht. In »Jahr 2022 … Die überleben wollen« lässt ein alter Mann sich einschläfern und erlebt kurz vor dem Ableben zu Beethovenklängen noch einmal die Schönheit der Natur. Chie Hayakawas themenverwandte Dystopie entstand in dem Jahr, in dem Richard Fleischer einst seine Science-Fiction-Vision spielen ließ. Die Japanerin verzichtet jedoch auf plakative Zuspitzungen. Ihr subtil inszenierter Film blickt aus verschiedenen Perspektiven hinter die Kulissen einer geräuschlos funktionierenden Euthanasie.

Michi (Chieko Baisho) ist lange schon über dem Rentenalter, arbeitet aber wie ihre Freundinnen weiter als Putzfrau in einem Hotel. Mit ihrer Entlassung reißen die letzten sozialen Kontakte. Eine junge Frau, die sie eigentlich nur in den Tod begleiten soll, wird ihr einziger menschlicher Kontakt. Der frühere Ingenieur Yukio Okabe (Taka Takao) trifft bei »Plan 75« ausgerechnet auf seinen Neffen Hiromu (Hayato Isomura). Routiniert – aber mit einem Kloß im Hals – erledigt er den Papierkram.

Die Sterbefabrik selbst ist ein steriler Bürokomplex. Hinter Vorhangabtrennungen schließen Menschen die Augen. Freundlich und routiniert verrichten nicht sichtbare Sterbehelfer ihre Arbeit: »Das Arzneimittel wird in Kürze wirken. Sie werden anfangen, sich schläfrig zu fühlen. Entspannen Sie sich und lassen Sie sich treiben.« Für die Entsorgung der Leichen ist eine junge Phi­lippinerin zuständig. Den makabren Job nahm sie wegen der guten Bezahlung an. In einer Kammer sortiert sie die zurückgelassenen Habseligkeiten der Verblichenen. Handtaschen, Schmuck, Uhren und Brillen. Düstere Assoziationen werden wach.

Eine hypnotische Wirkung entfaltet der in kühlen Blautönen fotografierte Film, weil alles reibungslos funktioniert. Niemand jammert. Skurrile Randbeobachtungen verdeutlichen unterdessen, wie radikal das Altwerden aus der Mitte der Gemeinschaft verdrängt wird. So muss Hiromu als Mitarbeiter der Sterbeagentur unter anderem auch die Modifizierung von Parkbänken kontrollieren. Mit fiesen Metallbügeln werden diese so hergerichtet, dass ein müder Senior sich im Bedarfsfall nicht mehr darauf ausstrecken kann.

All diese Ungeheuerlichkeiten vermitteln sich mit gespenstischer Unterschwelligkeit. Präzise Kameraeinstellungen beobachten den Alltag der alt gewordenen Menschen mit rührender Genauigkeit und respektvoller Distanz. »Plan 75« entfaltet eine beklemmende, ja unheimliche Wirkung, die lange nachhält.

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