Kritik zu Online für Anfänger

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In seiner grotesken Komödie beschäftigt sich das französische ­Filmemacherduo Gustave Kervern/Benoît Delépine mit dem Fluch des Internets: Dafür gab es auf der Berlinale 2020 einen Silbernen Bären

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Bertrand sorgt sich um seine Tochter, die von Mitschülern mit einem Facebook-Film gemobbt wird. Verzweifelt sucht er nach einer Anlaufstelle, um das Machwerk löschen zu lassen. Taxifahrerin Christine fürchtet wegen Ein-Stern-Kundenbewertungen um ihre Existenz. Und Marie wird mit einem Sextape erpresst. Was tun? Die Probleme der drei Freunde, die alle drei in derselben Retortensiedlung leben, sich jedoch erst auf einer Gelbwestendemo kennenlernten, sind nur die sichtbarsten Symptome einer größeren Malaise.

Das Duo Gustave Kervern/Benoît Delépine hat sich seit langem darauf kapriziert, in eckigen Offbeat-Komödien und mit sanftem Anarchowitz jenes diffuse Gefühl der Ohnmacht in der Moderne, das jenseits sozio-philosophischer Abstraktion keinen Namen hat – vielleicht am ehesten mit Fremdbestimmtheit übersetzbar ist – fassbar zu machen. Ihre Helden sind Underdogs (und wieder erscheint in einem Cameo Kulturpessimist Michel Houellebecq), bei denen die soziale Dressur nicht greift. Ihr bekanntester Film ist »Mammuth«, in dem Gérard Depardieu mit wehender Mähne als Schlachtergehilfe auf dem Motorrad durchs Land knattert, auf der Suche nach Rentenbelegen.

Nun aber ist es nicht mehr die nationale Bürokratie, die sich immerhin in Menschen und Gebäuden, vor denen man protestieren kann, materialisiert, die ihren drohenden Schatten wirft. Das neue kafkaeske »Schloss« steht im sonnigen Kalifornien, im Reich von Google, wo alles Wissen auf Servern in einem riesigen futuristischen Metallkubus verwahrt wird. Die Sicherheitsleute, die diesen Datenschatz bewachen, lassen sich auch von weit angereisten Franzosen nicht erweichen.

Wir befinden uns in dieser neuen Komödie, im programmatischen Retrostil auf analogem 16 Millimeter gedreht, also in der Welt 2.0. Das Internet ist nahezu unbemerkt zum globalen »Big Brother« geworden. Die virtuelle Verführung mittels Serien, Games und der permanenten Aufforderung zum Konsum macht die »User« tumb und süchtig und raubt ihnen Geld, Nerven, Zeit und Würde. Das große Versprechen der globalen Vernetzung, die Menschen näher zusammenzubringen, führt stattdessen zu mehr Isolation.

Das klingt nun einigermaßen apokalyptisch. Doch in der Handlung wird mit mal chaplinesken, mal leider billigen Pointen, jedoch nur einem Hauch Übertreibung, durchgespielt, wie das alltägliche Wursteln von dieser Tyrannei vereinnahmt wird. Bertrand, der sich in eine I-Marketing-Stimme verliebt, Serienjunkie Christine, Marie, die ihre Möbel verticken will, überhaupt das Kaufen, Bezahlen, das vom menschlichen Kontakt ins Netz gewandert ist: Alle hängen, ob sie wollen oder nicht, an der Leine, das Smartphone ans Ohr geklebt, oder ewig über einer in ihren Befehlen undurchschaubaren »Service«-Website brütend. Denn reibungslos funktioniert die Kommunikation nur in eine Richtung, wie permanente Werbeanrufe zeigen; will man sich beschweren, wird man durch die Hotline-Warteschleife ausgebremst.

Die armen Teufel revoltieren gegen diese Entmündigung auf kindlich regressive Weise, mit lautem Schreien und Kettensägen. Das ist vielleicht inspiriert vom Geist des Filmklassikers »Themroc«, in dem sich ein Bürosklave vom System des »Métro boulot dodo« befreit, indem er sich in einen atavistischen Höhlenmensch zurückverwandelt. Heute ist das Joch entfremdeter Arbeit durch Gig-Ökonomie und Selbstausbeutung ersetzt, wie ein panischer Fahrradkurier bezeugt. Doch es gibt welche, die das System unterlaufen. So kommt schließlich der weise Hacker GOD (der unverzichtbare Bouli Lanners) ins Spiel, der aber gegen die »Cloud« nichts ausrichten kann.

Am Ende hilft nur magisches Denken und die Rückkehr zu Lowtech und menschlicher Solidarität, um die Kontrolle zurückzugewinnen. So bleibt auch diese Komödie, wie gehabt, zwischen groteskem Märchen und politischem Manifest stecken – und ist in ihrer treffsicheren Beobachtung einer zunehmend dysfunktionalen Gesellschaft ein ziemlich trauriger Witz.

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