Kritik zu Mistaken for Strangers

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Eine Dokumentation dessen, wie ein Dokumentarfilm scheitern kann: Um sich als Roadie vor der Arbeit zu drücken, dreht Tom Berninger, Bruder des Sängers Matt Berninger, einen Film über dessen Band The National

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Dieser Film ist keine Dokumentation über die inzwischen weltweit anerkannte amerikanische Indie-Band The National. Es ist auch kein Film über die Kraft der Popmusik, den Starkult und den wie auch immer chaotischen Ablauf einer Welttournee. Und ein Film über Tom Berninger ist es erst recht nicht. Und doch steckt etwas von alledem in Mistaken for Strangers, einem Film, der alle Erwartungen unterläuft, wackelige Bilder scheinbar unmotiviert aneinander schneidet und zwischen den Orten und Zeiten hin und her springt. Wären da nicht leinwandgroße Inserts, die uns den Ort verraten, man wüsste überhaupt nicht, wo man ist. Und auch so bleibt die logische Konsequenz der Szenen auf der Strecke. Man sieht einen  Dilettanten, wie er versucht, aus dem Job als Roadie bei der Band seines Bruders den eines Dokumentarfilmers zu machen. So weit, so fatal. Denn was man glauben soll und was wirklich hinter Mistaken for Strangers steckt, sind zwei verschiedene Dinge.

Vielleicht fangen wir anders an. Matt Berninger, Kopf und Sänger der amerikanischen Indie-Band The National, gibt seinem Bruder Tom, der eventuell zwei kleine Horrorfilme gedreht hat – bewiesen ist das nicht –, die Chance, The National bei ihrer Welttour von Paris über London, Berlin, Krakau, Los Angeles und New York zu begleiten. Er wird als Roadie eingestellt, nimmt vorgeblich eine kleine digitale Kamera mit und filmt unaufhörlich. Das Material, das dabei herauskommt, sichtet er später, versucht Ordnung hineinzubringen und führt dann den völlig chaotischen Film vor. Aber auch das geht schief.

Zwischendrin sehen wir die einzelnen Bandmitglieder, wie sie sich auf Interviews vorbereiten, die dann nie stattfinden, wie sie Dinge sagen, die sie hinterher bereuen, und wie die Show unaufhörlich weitergehen muss. Tatsächlich aber hat dieser Film einen Helden und eine planvolle Geschichte: Tom Berninger, den depressiven Bruder eines Popstars und schöpferischen selbsternannten Filmemacher, der an der viel zu großen Aufgabe scheitert, einen Film über The National zu drehen. Allein der Abspann beweist, dass es sich hier nicht um einen missglückten Versuch, sondern um ein absichtsvolles, äußerst humorvolles Projekt handelt. Was die wenigen gestochen scharfen Liveaufnahmen der Band erklärt, zu der eine kleine Amateurkamera gar nicht in der Lage wäre.

Mistaken for Strangers ist das Dokument einer ungleichgewichtigen Beziehung zwischen zwei Brüdern, die keineswegs der Wirklichkeit entsprechen muss, nur weil es die Band tatsächlich mehr oder weniger so gibt, wie sie dargestellt wird. Es ist das Dokument einer Depression, eines umfassenden Scheiterns, und einer großen Verlorenheit in der Welt der Kunst zwischen Film und Musik. Trauer und Humor gehen dabei wieder einmal sehr erfolgreich Hand in Hand und es ist, genau wie im Film selbst, eine Frage der eigenen Haltung, ob man darüber lachen kann oder nicht. Dilettantismus ist hier sowohl Mittel als auch Thema. Darauf muss man sich einlassen. Der wirklich großartigen Band The National, die den Film mit produziert hat, tut das keinen Abbruch.

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