Kritik zu Milla Meets Moses

© X-Verleih

2020
Original-Titel: 
Babyteeth
Filmstart in Deutschland: 
08.10.2020
Heimkinostart: 
11.02.2021
L: 
118 Min
FSK: 
12

In der Romanze eines todgeweihten Teenagers mit einem Junkie werden die Klischees eines Coming-of-Age-Dramas gegen den Strich gebürstet

Bewertung: 4
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Auf dem Bahnsteig rempelt Moses Milla heftig an. Das ist vielleicht der Reflex eines Junkies, der seine Bewegungen nicht unter Kontrolle hat – vielleicht aber auch ein spontanes Eingreifen, um die Schülerin davon abzuhalten, sich vor den einfahrenden Zug zu werfen. Als Millas Nase zu bluten beginnt, wendet er sich nicht peinlich berührt ab, sondern zieht sein Hemd aus, um ihr Gesicht abzutupfen. Milla entschließt sich, Moses zu ihrem Leitstern zu küren. Gegen Geld bringt sie ihn dazu, mit ihrer Familie zu Abend zu essen. Nun hat Moses zwar einen treuen Dackelblick und eine offene, charmante Art. Doch in den noblen Vorort-Bungalow passt der 23-jährige Herumtreiber wie die Faust aufs Auge. Mühsam versuchen die Eltern, er Psychotherapeut, sie ehemalige Konzertpianistin, die Fassung zu wahren. Ein Typ wie Moses ist das Letzte, was sie sich für ihre krebskranke, erst 16-jährige Tochter wünschen.

Dieses Drama, das auf einem Theaterstück basiert, reiht sich zwar ein in die seit Jahren florierenden Coming-of-Age-Romanzen, in denen todgeweihte Teenager auf den letzten Lebensmetern ihre erste Liebe finden und lernen, ihr Schicksal anzunehmen. Auch dieser Film ist besonders gegen Ende nicht frei von oberflächlichen Szenen, mit denen die Grausamkeit dieses überstürzten Erwachsenwerdens versüßt werden soll. Körperliche Verfallserscheinungen werden weitgehend ausgespart. Moses verwandelt sich zwar nicht vom Frosch zum Märchenprinzen, ist aber trotz Vokuhila-Frisur und Unzuverlässigkeit keiner, vor dem man Angst haben muss.

Unerwartet ambitioniert ist indes die psychologische Tiefe und tragikomische Unverblümtheit des Drehbuchs. Porträtiert werden, mit oft unerwartet scharfkantigem Humor, vier Menschen, die sich seit langem im emotionalen Ausnahmezustand befinden. Gerade durch ihre Verletzlichkeit zieht Milla alle in ihr Fahrwasser. Sie weiß als Einzige, was sie will – nämlich mit Moses' Hilfe aus dem von ihren schrecklich netten Eltern gesponnenen Kokon ausbrechen. Die Handlung ist in Kapitel geteilt, in denen Milla schrittweise die Narrenfreiheit von Teenagern, die ihr ganzes Leben noch vor sich haben, erlangen will. Der Versuch, so sorglos dämlich im Hier und Jetzt zu leben wie jene Mitschülerin, die Millas blonde Langhaarperücke ausprobieren will und der es angesichts von Millas Glatze die Sprache verschlägt, führt zu herzzerreißenden Momenten.

Doch nicht nur dank des gleißenden australischen Dauersommers wird die existenzielle Tragik des Mädchens immer wieder überblendet. Dieser Film handelt auch von Drogen: Während Milla ihre Medikamente absetzt, verschreibt ihr stoischer Vater seiner flattrigen Ehefrau großzügig Antidepressiva, versorgt auch Moses mit Rezepten und kann schließlich selbst nicht widerstehen. Der subversive Witz allerdings, mit dem die widersprüchlichen Gefühle und merkwürdigen Handlungen der Charaktere zur Geltung gebracht werden, dürfte ein Teenager-Publikum viel weniger berühren als erwachsene Zuschauer.

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