Kritik zu Männerfreundschaften

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Was verband die Dichterfürsten Goethe und Schiller, die in stiller Erhabenheit vor dem Weimarer Nationaltheater auf ihre Anbeter herabschauen, über ihre ­literarische Seelenverwandtschaft hinaus?

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Waren Freundschaftskult und Liebesrhetorik der Goethe-Zeit bloße Konventionen, Moden einer empfindsamen Epoche, oder verweisen sie auf tatsächliche intime Beziehungen? Genaues weiß man nicht, und gerade deshalb lassen sich in Rosa von Praunheims »Männerfreundschaften« darüber allerlei Vermutungen anstellen, zu denen Werke und Korrespondenzen Goethes und seiner Zeitgenossen reichlich Stoff bieten.

Es spricht für Praunheims munteren Mix aus Dokumentation, historischem Exkurs und heiter-frivolem Re-enactment, dass er sich bei aller Spekulation zunächst auf philologisches Terrain begibt. Ausgehend von der Studie »Warm Brothers – Queer Theory and the Age of Goethe« des US-Germanisten Robert Tobin lässt Praunheim allerlei wissenschaftlichen Sachverstand zu Wort kommen. Was verraten uns beispielsweise die teils lange im Giftschrank verborgenen »Venezianischen Epigramme« über Goethes sexuelle Präferenzen? Nichts, glaubt der ­Literaturwissenschaftler Paul Derks. Das 18. Jahrhundert sei eine Zeit gewesen, in der sich Männer reihenweise verbal um den Hals gefallen seien, ohne dass dem explizit erotische Bedeutung beigemessen worden sei. Auch die Kulturhistorikerin Annette Seemann spricht von einem eher allgemein toleranten Klima, das sie französischen Einflüssen auf den Hof Karl-Augusts zuschreibt. Der Medizinhistoriker Florian Mildenberger hält Goethe dagegen für »polysexuell«, er hätte es »vielleicht auch mit rasierten Affen getrieben.« Sex mit Schiller? Unwahr­scheinlich, meint Robert Tobin.

Rosa von Praunheim und seine Co-Autorin Valentina Schütz fächern ein Personenspektrum auf, das vielleicht etwas zu breit ist, um genauer auf einzelne Beziehungen einzugehen: von Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg, der sich gern in Frauenkleidern zeigte (»Von heute aus betrachtet... eine Tunte,« so Praunheim), über Heinrich von Kleist bis zu Alexander von Humboldt, der sich auch deshalb in ferne Länder begeben habe, um unsanktioniert seine Homosexualität ausleben zu können. Am Rande wird die lesbische Liebe zwischen Adele Schopenhauer, der Schwester des Philosophen, und Sibylle Mertens, die einen »rheinischen Salon« unterhielt, erwähnt. Ob Heinrich Heines öffentliche Verunglimpfung des Dichters August von Platen als Päderasten, der »mit dem Gesäß kokettierte«, tatsächlich den Startschuss für die zur Mitte des 19. Jahrhunderts beginnende Kriminalisierung und Pathologisierung von Homosexualität gegeben hat, wie Paul Derks behauptet, sei dahingestellt.

Praunheims Projekt verleugnet nicht seinen Workshopcharakter. Deftige Spielszenen im Weimarer Park an der Ilm vor amüsierten Schüler- und Passantenscharen, sind locker mit den wissenschaftlichen Exkursen zusammengeschnitten. Alle Mitwirkenden stellen sich dem Zuschauer vor, bevor sie als Experten oder Schauspieler zu Wort kommen. Das mag bisweilen betulich wirken, erinnert aber wohltuend an Zeiten, als TV-Dokumentationen noch keine musikunterlegten Spektakel waren. »Männerfreundschaften« – pädagogisch wertvoll.

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