Kritik zu Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod

© Cinegobal

2010
Original-Titel: 
Balada Triste De Trompeta
Filmstart in Deutschland: 
08.12.2011
L: 
108 Min
FSK: 
18

Geschichtslektionen, wie man sie nicht erwartet: Álex de la I glesia (Perdita Durango, Ein perferktes Verbrechen) führt spanischen Faschismus als Exploitationkino vor

Bewertung: 4
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Der Faschismus hat im Kino in den letzten Jahren verstärkt karnevaleske Züge angenommen, von Tarantinos Inglourious Basterds über Guillermo del Toros Pans Labyrinth bis zu Helge Schneider. Álex de la Iglesias neuer Film Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod könnte eine hübsche Schlussnote unter dieses Kapitel setzen. Ein Film, der jeden weiteren Film zum Thema überflüssig macht. Schon die Ouvertüre ist grandios. Spanien 1937: Ein bewaffneter Trupp Revolutionäre platzt in die Kindervorstellung eines Zirkus und zwingt die Zirkusleute zur Kriegsteilnahme. Vor der Tür warten Francos Soldaten, um die republikanischen Kämpfer niederzuschlagen. Was folgt, überbietet an Irrwitz selbst Zack Snyders digitale Schlachtengemälde aus »300«: Ein Sturmlauf von machetenschwingenden Clowns, bärtigen Frauen und Zirkusartisten Seite an Seite mit den republikanischen Garden auf Francos Mördertruppen. Blut spritzt, Gliedmaßen fliegen, am Ende liegt ein geschlagener Clown im Dreck. Seinem Sohn gibt er noch ein paar aufmunternde Worte mit auf den Weg: Solange Franco regiert, dürfe es keine lustigen Clowns mehr geben. »Rache!«

1973 liegt auch das faschistische Spanien in den letzten Zügen, doch die wahnhaften Register arbeiten ungebrochen. Das imposante Monumento Nacional de Santa Cruz steht stellvertretend für den Größenwahn des Franquismus; es ist nur konsequent, dass später im Film der Showdown an ebendiesem Ort stattfinden wird. Eine kurze Sequenz aus Archivbildern zeigt ein Spanien wie aus dem Reiseprospekt. In den 60er Jahren begann der Tourismus zu florieren, der Reiseboom machte Francos Regime bei den europäischen Nachbarn salonfähig: Strahlende dicke Männer in Badehosen winken gut gelaunt in die Kamera. Unter der Oberfläche jedoch brodelt es.

Javier ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten. In einem felliniesken Zirkusensemble gibt er den traurigen Sidekick für den lachenden Clown Sergio, einen gewalttätigen Psychopathen, der seine Frau, die schöne Akrobatin Natalia, misshandelt. Dem hängebackigen Javier steht die Trauer des spanischen Volkes über die verlorene Revolution buchstäblich ins Gesicht gemalt, aber Vaters Diktum der Rache hat sich tief ins Unterbewusstsein gegraben. Es bedarf nur eines Auslösers. Javier ist eine tickende Zeitbombe.

Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod ist der Versuch einer politischen Parabel, doch de la Iglesias Programm erinnert eher an die Pulp-Fantasien eines Robert Rodriguez. Die Allegorien auf das faschistische Spanien hängen schief, werden aber immer wieder von den unglaublichsten Visualisierungen zurechtgerückt. Die Titelsequenz mit ihren historischen Aufnahmen von siegesgewissen Republikanern, Leichenbergen, Franco-Bildern und Monsterfratzen ist ein schönes Beispiel für de la Iglesias eigenwilligen Ideenreichtum. Für welche Parteien Javier, Sergio und Natalia in Spaniens turbulenter Vergangenheit letztlich stehen, ist relativ zweitrangig. Gleich bei ihrer ersten Begegnung zeigen sich die beiden Männer aus ähnlichem Holz geschnitzt. »Wäre ich nicht Clown geworden«, erklärt Sergio, »wäre ich heute ein Mörder.« Javier nickt. Damit ist der Ton für ein furioses Gewaltspektakel gesetzt.

Der Kampf um die schöne Natalia, die nymphomane Schlampe mit einem Herz aus Gold, könnte für das Buhlen zweier politischer Systeme um die Gunst ihres Volkes stehen. Geschenkt. De la Iglesia lässt Zwischentöne aus. Seine Clowns verfallen zusehends in eine bizarre Raserei. Javier wird zum Hund degradiert und darf dem großen Führer persönlich in die Hand beißen. Sergio verwandelt sich in Frankensteins Monster, ein grässlich entstellter Freak, der rachsüchtig und liebestaumelnd durch die Straßen Madrids streift. Hoch auf dem Heiligen Kreuz von Francos Wahnsinnsdenkmal finden Javier, Sergio und Natalia wieder zum Showdown zusammen.

Mit seinen billigen CGI-Effekten stellt sich de La Iglesia in die Tradition des Exploitationfilms. Das irre Heulen seiner Clowns, Leatherface und Jason Voorhees in Personalunion, legt allerdings auch den Gedanken nah, dass da noch etwas im spanischen Kollektivgedächtnis verschüttet liegt, das das Exploitationkino gerade erst im Begriff ist, an die Oberfläche zu spülen.

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