Kritik zu Lunchbox

© NFP

Ritesh Batra belegt in seinem melancholischen Film, dass der Maßstab für das Gelingen einer Liebesgeschichte nicht deren Erfüllung sein muss; es kann auch die Sorgfalt sein, mit der von ihr geträumt wird

Bewertung: 4
Leserbewertung
3.5
3.5 (Stimmen: 4)
Die Dabbawalas von Mumbai erbringen eine famose Dienstleistung. Tagtäglich liefern sie frisch gekochte Mahlzeiten an Arbeitsplätze. Diese Lunchboxen sind anmutig ineinander gestapelte Metallnäpfe, die in Futteralen warm gehalten werden. Die Empfänger sind somit nicht auf schales Kantinenessen angewiesen. In einem anderen Land wäre dieses Ritual womöglich längst als zu umständlich und unzeitgemäß abgeschafft worden. Aber es hat hohes Lob von der Queen erhalten und wurde sogar schon von Wissenschaftlern aus Harvard studiert.
 
In Ritesh Batras Langfilmdebüt, das wehmütig, aber ohne ausgreifende Nostalgie den Wandel der Gebräuche und Werte in den Blick nimmt, leistet dieses System der Speisenlieferung vorzügliche Dienste als Metapher. Wäre es unfehlbar, gäbe es den Film allerdings nicht. Eines Tages erhält der Buchhalter Saajan (Irrfan Khan) eine Lunchbox, die nicht für ihn bestimmt ist. Er ist angetan davon, wie gut die Mahlzeit zubereitet ist, und überrascht, in einem Napf einen Brief vorzufinden. Ila, die Köchin (Nimrat Kaur), hat ihn an ihren Ehemann gerichtet, der ihr seit langem nicht mehr die Aufmerksamkeit schenkt, nach der sie sich sehnt. Alsbald entspinnt sich eine  Korrespondenz zwischen der einsamen Frau und dem Nutznießer ihrer Kochkünste. Zusehends fiebert der verschlossene Buchhalter der Speisenlieferung entgegen; sie wird zum Inhalt seiner Arbeitstage. Den Kassibern vertrauen die beiden nach einer Weile auch Persönliches an. Eines Tages schlägt Ila ihrem Brieffreund vor, sich in einem Café zur Mittagszeit zu treffen. 
 
Batras Drehbuch hält für seinen weltabgewandten Helden noch eine zweite, nicht minder heilsame Anfechtung bereit. Der pedantische Bürokrat soll den leutseligen, un­­konzentrierten Lehrling Shaikh (Nawazuddin Siddiqui) einarbeiten, damit der nach seiner Pensionierung seinen Posten übernimmt. Brüsk weist Saajan dessen Freundlichkeit anfangs noch zurück, bald kann er aber nicht mehr umhin, sie zu erwidern: Allzu beharrlich buhlt der junge Mann um seinen Respekt. Verzweifelt sucht er einen Mentor, im Grunde auch einen Vater. Mit einer Fürsorglichkeit, die sich nie ans Pathos verliert, erlegt The ­Lunchbox seinem Helden einen zweifachen Öffnungsprozess auf: Neben der diskreten Anbahnung seiner ungewöhnlichen Liebes­geschichte arbeitet der Film an einer ebensolchen Familienzusammenführung. Alle drei Protagonisten sind Hinterbliebene: Sajaan ist Witwer, Ila hat früh ihre Schwester verloren, Shaikh schließlich ist Vollwaise.
 
Diese Wahlverwandtschaft erhebt der Film kunstvoll zu einem Stilprinzip. In der Montage der Bilder und Töne lässt er Impressionen aus dem Leben der drei Protagonisten sanft in das der anderen hinübergleiten. Mitunter fragt man sich, ob sie nicht Träume oder Sehnsuchtsbilder der Briefeschreiber sind. Allerdings zieht Batra das Netz der Analogien und Echos eng zusammen, lässt Worte und Requisiten zirkulieren zwischen den Figuren, die von Szene zu Szene mehr von sich offenbaren. Einmal beschreibt Ila die Assoziationen, die der Blick auf einen Deckenventilator in ihr auslöst, und lässt Sajaan seinen Arbeitsplatz plötzlich mit anderen Augen betrachten. Die Wertschätzung, die die Unbekannten füreinander empfinden lernen, ist grundiert in einer Empathie, für die Batra regelmäßig ein stimmiges visuelles Äquivalent findet. Das Abwesende ist stets präsent in seinen Bildern. Eine wichtige Nebenfigur, Ilas Nachbarin, ist nur als Stimme aus dem Off präsent.
 
Neben der Lunchbox zieht sich noch ein zweites Leitmotiv durch den Film; auch dies eine behutsam ins Spiel gebrachte Metapher. Einen Gutteil seiner Zeit verbringt Sajaan in Pendlerzügen, die mit der Einfahrt in den Bahnhof kein Ziel erreichen, sondern nur eine tägliche Etappe. Die Sorgfalt, mit der Batra die Erzählkraft alltäglicher Rituale ausschöpft, ist bewundernswert; sie ist der Hingabe, mit der Ila Mahlzeiten zubereitet, und der Gewissenhaftigkeit, mit der Sajaan seinen Beruf ausübt, ebenbürtig.  »Manchmal fährt der falsche Zug in den richtigen Bahnhof«, lässt der Regisseur einmal Shaikh und sodann auch Ila sagen. In dem Satz ist die innere Bewegung des Films hübsch nachvollzogen. Ein Happy End ist damit nicht versprochen.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt