Kritik zu Luftkrieg – Die Natur­geschichte der Zerstörung

© Progress Filmverleih

2022
Original-Titel: 
The Natural History of Destruction
Filmstart in Deutschland: 
16.03.2023
L: 
109 Min
FSK: 
12

Sergey Loznitsa legt einen weiteren Dokumentarfilm vor, der ausschließlich aus unkommentierten Archivaufnahmen besteht: über die verheerenden Bombardierungen deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg 

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On the Natural History of Destruction« – so hieß in englischer Ausgabe W. G. Sebalds Essay »Luftkrieg und Literatur«, der 1999 die weitgehende Abwesenheit des Bombenkriegs in der deutschen Nachkriegsliteratur beklagte. Wie konnte es sein, dass die so einschneidende kollektive Erfahrung der Flächenbombardements, die mehr als eine halbe Million Menschenleben kosteten und das Erscheinungsbild so vieler deutscher Städte für immer veränderten, »kaum eine Schmerzensspur« hinterlassen hatte? 

Sebald stand nie im Verdacht, rechtem Geschichtsrevisionismus das Wort zu reden, und ebenso wenig kann man diesen Vorwurf Sergey Loznitsa machen, der sich immer wieder mit dem Abgrund der Nazibarbarei auseinandergesetzt hat, erst im letzten Jahr mit »Babi Yar. Context«, davor unter anderem mit »Austerlitz«, dessen Titel ebenfalls auf Sebald verweist. Ging es Sebald in seinem Luftkrieg-Essay vor allem um die literarische Verarbeitung des traumatischen Geschehens, zielt Loznitsa in seinem Film auf grundsätzliche ethische Fragen: Ist es vertretbar, im Krieg die Zivilbevölkerung zum Ziel zu machen?

Mit eindrucksvollem, bislang teils ungesehenem Material aus diversen Archiven, ohne jeglichen Kommentar, aber mit ausgefeiltem Sounddesign, führt Loznitsa uns die Schrecken der Bombardierungen vor Augen. Die Montage des Materials folgt dabei einer klar strukturierten Dramaturgie, die gleichwohl den historischen Kontext außen vor lässt. 

Mit Bildern von Vorkriegsidyllen beginnt der Film. Man sieht ziviles Land- und Stadtleben, verwinkelte Altstadtgassen mit Fachwerkhäusern, lächelnde Menschen beim Tanztee. Nur gelegentlich kommt mal ein Hakenkreuz oder eine SS-Uniform ins Bild. Doch irgendwann wechselt die Perspektive: Nachtaufnahmen von schrecklicher Schönheit zeigen aus einem Flugzeug das Aufblitzen unzähliger Bomben, das Flackern der Brände weit unten in einer Stadt – ein Inferno. Dann die Zerstörungen. Lösch- und Bergungsarbeiten, fliehende Zivilisten, Tote in den Straßen. In folgenden langen Sequenzen bezieht der Film auch den Rüstungsaufwand – Produktionsprozesse von Flugzeugen und Bomben in den Fabriken – sowie Angriffsvorbereitungen mit ein und deutet eine Dynamik der Eskalation an. Wie in einem Actionfilm geschnitten, läutet dann eine Sequenz von Luftkämpfen zwischen Bombern und Jägern eine weitere, nun noch brutalere Passage mit Bildern von Bombardierungen und ihren Folgen ein. Es bleiben Ruinenlandschaften.

Nicht zuletzt aufgrund der hervorragenden Restaurierung des Materials sind Loznitsas Bilder von schockierender Eindringlichkeit, vor allem Aufnahmen verzweifelt umherirrender Menschen, wie sie die Nazis selbstverständlich nicht veröffentlichten, wirken teils so gegenwärtig, als könnten sie auch aus Syrien oder der Ukraine stammen. Zwar flicht Loznitsa einzelne politische Statements zum Bombenkrieg mit ein – Ansprachen von Montgomery, Churchill und von Luftmarschall Arthur Harris, dem berüchtigten »Bomber-Harris«, auf der einen und von Goebbels auf der anderen Seite –, doch ansonsten enthält er sich jeder Einordnung. So bleibt immer wieder ungewiss, ob man gerade deutsches oder britisches Filmmaterial sieht oder in welcher Stadt man sich befindet. Nur gelegentlich erkennt man mal die Ruinenlandschaft Dresdens oder das Münchner Rathaus, dann sind plötzlich zwischen brennenden Häusern Soldaten in britischen Uniformen zu sehen. 

Loznitsas faszinierender filmischer Essay wird passend zu seinem Titel zu einer fast abstrakten, zeitlosen Reflexion von Krieg und Zerstörung und vom Leid von Zivilisten als Konstante der Geschichte. Dass er dabei dieses Beispiel gewählt hat und ohne Kontextualisierung (fast) ausschließlich vom Leid der deutschen Bevölkerung erzählt, die das Naziregime und den Krieg in der Mehrheit bis zum bitteren Ende mitgetragen hat, während er kein Wort über Guernica, Warschau oder Rotterdam verliert – das ist sehr konsequent, allerdings auch diskussionswürdig.

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