Kritik zu Kids Run

© Farbfilm Verleih

Jannis Niewöhner verkörpert in Barbara Otts Spielfilmdebüt einen Amateurboxer und Vater dreier Kinder, der am existenziellen Abgrund steht

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Es sind die Väter, die es Barbara Ott angetan haben. Bereits ihr aufsehenerregender Kurzfilm »Sunny«, für den die Regisseurin 2013 mit dem Deutschen Kurzfilmpreis ausgezeichnet wurde, handelte von einem Vater am gesellschaftlichen Rand. So nun auch »Kids Run«, ihr Langfilmdebüt, das die Sektion Perspektive Deutsches Kino auf der diesjährigen Berlinale eröffnete. 

Ott, die auch das Drehbuch geschrieben hat, erzählt von dem ehemaligen Boxer Andi (Jannis Niewöhner), einem Tagelöhner, der sich auf der Baustelle abschuftet, um sich und seine drei Kinder von zwei unterschiedlichen Müttern durchzubekommen. Die Mietschulden begleicht er von den 5 000 Euro, die Sonja (Lena Tronina), Mutter der jüngsten Tochter Fiou, von ihrem Liebhaber klaut. Als der dahinterkommt, setzt Sonja ein Ultimatum: Andy hat zwei Wochen Zeit, das Geld zu besorgen, sonst sieht er Fiou nicht wieder.

Es gibt wenige Lichtblicke, Sozialromantik sieht jedenfalls anders aus. »Kids Run« ist eine Geschichte der Tiefschläge, in ihrer Drastik schmerzhaft. Auch wenn Ott nie die Empathie für ihre Figuren abhandenkommt, kratzt der Film in einigen Momenten am Sozialporno. Nicht »genug«, dass Andy Tochter Nikki (Eline Doenst) und Sohn Ronny (Giuseppe Bonvissuto) eingesperrt in der Wohnung ihrer psychisch labilen Mutter vorfindet, die seit Tagen verschwunden ist. Nein: Die Babykatze, die aus der Wohnung gekrochen kommt, muss auch noch aus Wut durch den Müllschacht entsorgt werden. 

Dennoch sind Konsequenz und Energie des Überlebenskampfes einnehmend. Die dynamischen, nüchternen Bilder von Falko Lachmund sind derart Grau in Grau, dass viele Filme des Subgenres »deutscher Problemfilm« gegen »Kids Run« aussehen wie eine leuchtende Blumenwiese. Gleich in den ersten Einstellungen wird Andi, der zur Beschaffung des Geldes wieder in den Amateurboxring steigen wird, von einem Gegner zu Brei geschlagen. Einmal ist ein »Once upon a time«-Graffiti inmitten der zubetonierten Topografie zu sehen. Trotz poetischer Einschübe ist »Kids Run« das filmgewordene Antimärchen.

»Kids Run« lebt von seiner ambivalenten Hauptfigur: Andi ist die Verkörperung destruktiv-toxischer Männlichkeit, ein Typ, der mit dem Kopf durch die Wand will, buchstäblich in Bilder gebannt, wenn er auf dem Bau alte Gebäude einreißt. Auch pädagogisch greift er zur Brechstange: Als Sohn Ronny Essen ablehnt, stopft Andi es ihm in den Mund. Und doch: Er ist zugleich ein liebender und auch geliebter Vater. Es ist ein eigenwilliger Blick, mit dem Ott das Vatersein in all seiner drastischen Konsequenz einfängt. 

Jannis Niewöhner ist das Ereignis dieses düsteren, mitreißenden Films. Er spielt den Rocky aus der Platte mit strenger Miene zwischen muskelbepackter Eruption und sensiblem Beschützerinstinkt. Ott denkt die traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit, wie man sie aus den amerikanischen Boxerfilmen kennt, weiter und etabliert einen modernen, komplexeren Heldentypus. Mehr davon bitte.

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