Perspektive: »Kids Run«

»Kids Run« (2020). © Falko Lachmund/Flare Film

In Bezug auf den Hauptwettbewerb seiner ersten Berlinale hat der künstlerische Leiter Carlo Chatrian prognostiziert, dass es düsterer zugeht als gewohnt. Keine Hollywoodfilme tummeln sich dort, sondern lauter Autoren- und Independentfilme. Ob sich die Düsterkeit als allgegenwärtiger Modus dieser 70. Berlinale etablieren wird, das werden die kommenden Tage zeigen.

Der Auftakt »Perspektive deutsches Kino« jedenfalls hat auch wenig mit Konfetti und Blumen zu tun. »Kids Run« heißt das Langfilmdebüt von Barbara Ott, das die deutsche Nachwuchssektion eröffnet: nüchtern, fast dokumentarisch gefilmter Sozialrealismus am Rande des existenziellen Abgrunds. 

Ott erzählt von dem ehemaligen Boxer Andi (Jannis Niewöhner), ein Tagelöhner, der sich auf der Baustelle abschuftet, um sich und seine drei Kinder von zwei unterschiedlichen Müttern durchzubekommen. Die Mietschulden begleicht er von den 5.000 Euro, die Sonja (Lena Tronina), Mutter der jüngsten Tochter Fiou, von ihrem Liebhaber klaut. Als der dahinter kommt, setzt Sonja ein Ultimatum: Andy hat zwei Wochen Zeit, das Geld zu besorgen, sonst sieht er Fiou nicht wieder.

Otts Film ist die in realistischen Bildern fotografierte (Kamera: Falko Lachmund), dabei durch und durch filmische Geschichte eines Überlebenskampfes. Gleich in den ersten Einstellungen wird Andi, der zur Beschaffung des Geldes später wieder in den Amateur-Boxring steigen wird, von einem Gegner zu Brei geschlagen. Einmal ist ein »Once upon a time«-Graffiti auf einer Fabrik inmitten der zubetonierten, menschenunfreundlichen Topografien zu sehen ist. Ein Märchen? Purer Hohn angesichts der Abwärtsspirale des von Jannis Niewöhner gespielten, zwischen eruptiver Gewalt und Liebe lavierenden Vaters. 

Es gibt wenige Lichtblicke in Otts Debüt, Sozialromantik sieht jedenfalls anders aus. »Kids Run« zeichnet das düstere Porträt der gesellschaftlich Abgehängten. Der Film kratzt dabei immer auch an den Grenzen zur Karikatur, ohne diese unangenehm zu überschreiten. Die Figurenzeichnung des Andi vom harten zum später zarteren Typen kommt zu plötzlich, ebenso das seltsame versöhnliche Ende. Von einem wirklichen Happy End kann dennoch nicht die Rede sein.

»Kids Run« lebt von seiner ambivalente Hauptfigur: Andi ist die Verkörperung aggressiver, destruktiv-toxischer Männlichkeit, buchstäblich in Bilder gebannt etwa, wenn er auf dem Bau alte Gebäude einreißt. Auch pädagogisch greift er zur Brechstange mit teils aggressiven Erziehungsmethode. Und dennoch: Er ist ein liebender und auch geliebter Vater. 

Es ist ein eigenwilliger Blick, mit dem Ott hier das Vatersein in all seiner drastischen Konsequenz einfängt. Ein guter Auftakt für die »Perspektive«, in der in diesem Jahr auch viele Frauengeschichten erzählt werden. Man darf gespannt bleiben.

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