Kritik zu Gauguin

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In der Abfolge französischer Künstlerporträts ist nun Paul Gauguin an der Reihe – verkörpert von Vincent Cassel, der als Gauguin sein Heil unter primitiven Südseevölkern sucht und dabei Bilder malt, die die Kunst verändern werden

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Paul Gauguin ist noch so ein großer Unverstandener, der die Angepasstheit seiner Künstlerfreunde verachtete und sich zeitlebens über die mangelnde Anerkennung grämte: ähnlich wie Cézanne und Rodin, deren Schicksale zuletzt mit viel Einfühlung in die gequälten Künstlerseelen verfilmt wurden. Um diesen Déjà-vus zu entkommen, beschränkt sich Regisseur Edouard Deluc auf Gauguins erste Reise nach Polynesien 1891. In diesen 18 Monaten ist Gauguin enorm produktiv, bevor er 1893 Tahiti wieder in Richtung Paris verlässt. Als Vorlage diente Gauguins Reisebericht »Noa Noa«, den Deluc sehr frei interpretiert. In seiner Lesart wirkt Gauguins erster Besuch im Garten Eden fast wie eine Blaupause für spätere Aussteigererlebnisse.

In Gauguins Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, die ihn zugleich zu einem Agenten des Untergangs der indigenen Kultur macht, verdichtet sich ein Leitmo­tiv unserer Kulturgeschichte. Denn Gauguin – Vincent Cassel in gewohnt nervöser Getriebenheit – ist die kolonialfranzösische Gesellschaft zu zivilisiert. Er flüchtet tiefer in die Natur und begegnet edlen Wilden, die ihm mit Rousseau'scher Unbefangenheit ein Mädchen offerieren. Tehura wird zu seiner Muse und zum Motor seines Schaffens. Gauguin glaubt in ihr das Ideal einer unverkopft-kreatürlichen Eva gefunden zu haben, muss aber entdecken, dass die Kindfrau sehr wohl ihren eigenen Kopf hat, ihn mit dem jungen Jotépha betrügt und zwischen Geisterglauben und Kirchgängen immer unglücklicher wird. So wie seine unzufriedene Ehefrau Mette in der alten Heimat.

Monotonie in der Südsee, Melancholie bei 30 Grad: Im Übergang von der Ekstase zur Entzauberung wird das Paradies seinem Pariser Elend immer ähnlicher. Gauguin steckt in Geldnöten, schuftet als Kuli und wird, statt wie in Paris vom Bruder, nun von einem befreundeten Arzt unterstützt. In einem dialektischen Twist erwischt er Jotépha, dem er das Schnitzen von Skulpturen beibrachte, beim Verkauf eigener Skulpturen an Kolonialfranzosen. Was ist nun schändlicher: Gauguin, der sich von Eingeborenenkunst inspirieren ließ – oder Jotépha, der seinen Götterglauben als Folklore für die Weißen verscherbelt?

So wirft dieser Film, obwohl er kaum zeitgeschichtlichen Kontext liefert, Fragen auf, die ins Eingemachte der westlichen Kultur reichen: Wo verläuft die Grenze zwischen Authentizität und Kitsch, zwischen echter Kunst und verlogener Projektion? Die delikate Inszenierung, deren Stimmung an Terrence Maliks Epos »The New World« erinnert (der melodische Soundtrack von Warren Ellis ist ein Genuss), verzichtet auf herkömmlich »schöne« Postkartenansichten, sind doch die Gemälde der in Pose gesetzten Tehura selbst zum Klischee einer Südsee­idylle geronnen. Und auch hier wird darüber ­hinweggegangen, dass das Mädchen kaum 13 Jahre zählte. Der weitgehend unreflektierte Zusammenhang zwischen Schwärmerei und kolonialer Übergriffigkeit verleiht dem Film eine gewisse Larmoyanz. Aber vielleicht ist es gerade dieser allzu menschliche Selbstbetrug, der dieses Porträt eines vergeblich strebenden Künstlers dann doch ziemlich anrührend macht.

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