Kritik zu Die Wolken von Sils Maria

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Ein Film, der den Bechdel-Test glänzend besteht: Olivier Assayas drehte das faszinierende Doppelporträt einer Schauspielerin und ihrer Assistentin, die gemeinsam an einer Rolle arbeiten und ihre Gegensätzlichkeit entdecken

Bewertung: 4
Leserbewertung
4.5
4.5 (Stimmen: 2)

Es braucht Gelassenheit, um eine Szene mit einer Abblende zu beenden. Der Rhythmus eines Films wird ruhiger, wenn eine Situation ausklingt, anstatt mit einem Schnitt abzureißen. Eine Abblende ist wie ein Vorhang, der nach dem Schauspiel fällt; sie senkt sich wie das Dunkel am Ende eines Tages.

Olivier Assayas hat noch nie einen Film gemacht, in dem es so viele Schwarzblenden gibt. Es sind Gesten der Diskretion. Manchmal markieren sie Etappen, bisweilen einen Abschied. Oft sind es Situationen, in denen er seine Heldin, die gefeierte Schauspielerin Maria Enders (Juliette Binoche), allein lässt: aus Respekt vor den Gefühlen, die in diesem Moment von ihr Besitz ergreifen. Auch am Ende des Films steht, natürlich, eine Abblende. Maria wartet, dass sich der Vorhang zur Premiere hebt. Ihr ist bang, sie sammelt ihre Energie, ist womöglich erleichtert, dass es kein Zurück mehr gibt.

Sie spielt eine Rolle, die ihr Angst macht, in einem Stück, an das sich heikle Erinnerungen knüpfen. Sie ist verletzbar, denn der Autor hat Selbstmord begangen. Er zählte viel für sie. Ihm und diesem Stück, das den merkwürdigen Titel »Maloja Schlange« trägt, verdankt sie ihre Karriere. Einst spielte sie darin den Part der jungen Verführerin, die eine verliebte Firmenchefin manipuliert. Nun soll sie, als Partnerin der blutjungen Hollywooddiva Jo-Ann (Chloë Grace Moretz), die Rolle der Älteren übernehmen. Sie hadert schwer mit diesem Wechsel.

Olivier Assayas’ Schauspielerinnenfilm knüpft filigrane Verbindungen zwischen Stück und Filmhandlung. Die Kollision der Generationen übersetzt er in ein Dreieck. Die junge Rivalin tritt erst später als Marias Kontrahentin auf. Das Herzstück des Films ist das Verhältnis zu ihrer äußerst effizient arbeitenden Assistentin Val (Kristen Stewart), die darunter leidet, von ihrer Arbeitgeberin nicht respektiert zu werden: Auch sie hat Angst, unsichtbar zu werden. Die Arbeit an der Rolle (im Haus des Autors) schillert zwischen Komplizenschaft und unüberbrückbarer Fremdheit.

Die Wolken von Sils Maria ist ein Film für und über Juliette Binoche (so wie Irma Vep ein Film für und über Maggie Cheung war); er beruht auf Assayas’ intimer Kenntnis ihres klugen Erlebnishungers, ihres Talents zur Schmucklosigkeit und zu skeptischem Glamour. Er knüpft thematisch an ihre Anfänge als Darstellerin und seine als Drehbuchautor bei André Téchinés Theater-Melo Rendez-vous an. Das lässt Assayas nicht zwangsläufig parteiisch werden. Kristen Stewart fasziniert ihn ebenso. Man spürt, welch große Entdeckung sie für ihn ist. Sie muss eine Leinwandexistenz unabhängig von Maria/Binoche haben. Einmal filmt er sie bei einem nächtlichen Ausflug, das ist fast ein Film für sich, anders inszeniert und montiert als der Rest.

Die nervöse Teilnahme, mit der Assayas einst den inneren Aufruhr von Jugendlichen filmte, ist längst einer vibrierenden Eleganz gewichen. Seine Neugierde richtet sich nun darauf, wie sich das Vergehen der Zeit auf seine Charaktere auswirkt, wie ihre Sehnsüchte und Beziehung erodieren. Sein Blick ist gleichermaßen auf die Vergangenheit wie die anbrechende Zukunft gerichtet. Er kann sich der Erhabenheit der Berglandschaft im schweizerischen Engadin verschließen, die unberührt ist vom Vergehen der Zeit und zugleich geistesgeschichtlich aufgeladen: Nietzsche fasste hier weltstürzende Gedanken, und Arnold Fanck filmte das Naturphänomen der sich am Maloja-Pass zu einer Schlange formierenden Wolken, dem in Assayas’ Film das zweifache Mandat zufällt, Schauwert und Metapher zu sein.

Die Faszination, welche die Globalisierung auf ihn ausübt, prägt den Film ebenso sehr. Hier nimmt er den Wandel der medialen Öffentlichkeit in den Blick, fragt sich, was es bedeutet, ein Star zu sein in einer Zeit, in der soziale Netzwerke neue Forderungen an Agilität und Verfügbarkeit stellen. Die Ungeniertheit, mit der Jo-Ann ihre Berühmtheit genießt, mag frivol wirken. Assayas begreift aber auch, wie smart sie auf der Klaviatur der Medien zu spielen weiß.

Frank Arnold im Interview mit Regisseur Olivier Assayas

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