Kritik zu To Die Like a Man

© Salzgeber

Schmerzlich-schöner Trauergesang: João Pedro Rodrigues gibt mit seinem dritten Spielfilm denjenigen den Glauben ans Kino und seine Kraft zurück, die langsam an der fortwährend wachsenden Banalität des weltweiten Arthouse-Betriebs verzweifeln

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Fast wie viragiert wirken die schwarz-roten Bilder von einem nächtlichen Waldspaziergang, der schließlich in einen der wundervollsten und rätselhaftesten Kinomomente der letzten Jahre mündet. Alles ist möglich in João Pedro Rodrigues' drittem Spielfilm, auch dass die Zeit ganz zum Stehen kommt, eine Szenerie mit fünf Wanderern auf einer winzigen Lichtung zu einem Tableau vivant wird und der Mond oder gar Gott mit der sphärischen Stimme von Baby Dee singt: »Wake up, wake up in sorrow / Wake up on Calvary.« Getragen auf den Flügeln dieses schmerzlichschönen Trauergesangs lässt die Passionsgeschichte der alternden Dragqueen Tonia erstmals das Jammertal der alltäglichen Wirklichkeit hinter sich und erhebt sich in die Welt des Göttlichen. Es ist ein magischer Moment, eine filmgewordene Epiphanie, die selbst eingefleischten Zweiflern wie auch allen langsam an der fortwährend wachsenden Banalität des weltweiten Arthouse-Betriebs Verzweifelnden den Glauben ans Kino und seine Kraft zurückgeben kann.

Lange Jahre war Tonia, die immer noch ein Mann ist, der große Star in Teixeiras Nachtclub. Nur haben die Zeit und ihre Angst immer gegen sie gearbeitet. Nun verliert sie mehr und mehr die Kontrolle über ein Leben, das sie unter größten Anstrengungen nach ihren eigenen Vorstellungen geformt hat. Sie kämpft weiter, aber vergeblich. Zumindest auf Erden hat sie keine Chance, weder gegen ihre deutlich jüngere Konkurrentin noch gegen ihren eigenen HIV-geschwächten Körper, der ihre Brustimplantate abstößt.

Schon mit »O Fantasma«, einem transgressiven Nachtstück über einen Müllmann, der sich immer mehr wie ein läufiger Hund verhält, und »Two Drifters«, einer gefühlstrunkenen Ballade zweier Seelen, die auch der Tod nicht trennen kann, hat der portugiesische Filmemacher nicht nur dem queer cinema neue Impulse gegeben. Nur sind seine Arbeiten jenseits dieser Nische bisher kaum beachtet worden. Dabei bewegt er sich auf einem Territorium, das der Festival- und Kritikerliebling Pedro Almodóvar mit seinen bunten tragikomischen Melodramen längst einem breiteren Publikum erschlossen hat.

Allerdings erkennt João Pedro Rodrigues weder dramaturgische Konventionen noch ideologische Denkverbote an. Natürlich schwingt auch in seinen Genrepastichen eine gehörige Portion Ironie mit, aber sie hat nichts Distanzierendes an sich. Die Gefühle, die Rodrigues beschwört, sind echt, genauso wie seine subversiven Angriffe auf klassische Gender-Klischees und seine zutiefst katholisch geprägte Spiritualität. Wie einst Rainer Werner Fassbinder, dessen grandiose Tragödie In einem Jahr mit »13 Monden« einem mittelalterlichen Totentanz glich, erzählt Rodrigues Tonias Leidensgeschichte in oft nur sehr locker verbundenen Szenen. Aber sie alle haben ein großes gemeinsames Thema: den Wunsch des Menschen, sich aus eigener Kraft zu verwandeln, und seine unermessliche Sehnsucht nach Transzendenz. Mithin der Stoff, aus dem große Melodramen geschaffen wurden, und so verhilft João Pedro Rodrigues diesem oft verfemten Genre zu einer triumphalen Auferstehung.

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