Kritik zu Der Schmetterlingsjäger

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Der Essay-Filmer Harald Bergmann (Brinkmanns Zorn, Höderlin Comics) nähert sich dem literarischen Phänomen Vladimir Nabokov mit einem avantgardistischen Film-im-Film-über-Film-Ansatz

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Wussten Sie, dass sich das Geschlecht von Schmetterlingen an der Art des Fluges erkennen lässt? Während die Weibchen im Zickzack eine breite Duftspur setzen, flitzen die Männchen in fast schnurgerader Linie hinterher. So berichtet es jedenfalls ein Schmetterlingszüchter in diesem Film. Denn der Schriftsteller Vladimir Nabokov war seit seiner Kindheit auch ein leidenschaftlicher Schmetterlingssammler und -erforscher. Das Interview mit dem Schweizer Forscher Marc de Roche ist nur ein Mosaiksteinchen in einer Episode auf einer der verschiedenen Erzählebenen dieses Films. Der Mann, der dafür mit kurzen Hosen und Käscher verkleidet in die Rolle des Interviewers geschlüpft ist, ist der Philosoph Heinz Wisman, der einen Filmschnitt später als Nabokov-Kenner an einem Schneidetisch sitzt und sich mit einem von dem Filmemacher Klaus Wyborny gespielten Filmemacher über die Relevanz dieser Szene für einen Film über Nabokov bespricht.

Es gibt viele Wege, sich im Film Literatur anzunähern: Sogenannte Biopics, die das Leben der Autoren dramatisieren. Verfilmungen einzelner Werke. Oder die dokumentarische Annäherung über Fundstücke und Erinnerungen. Der Filmemacher Harald Bergmann, der schon mit originellen Porträts von Hölderlin (zuletzt 2004) und Rolf Dieter Brinkmann (2006) hervorgetreten ist, wählt für seinen Nabokov-Film einen Weg, der diese Ansätze zu einem Filmessay verschmilzt, der es an formaler Kühnheit fast mit dem Werk des Avantgarde-Autors aufnehmen kann: Da ist ein Teilstück von Nabokovs Roman »Ada oder das Verlangen«, wo ein Mann in einem azurblauen Jaguar-Coupé durch die Alpen rast, und dabei über Zeit und Erinnerung sinniert. Da gibt es Inszenierungen von Szenen aus der Kindheit des Schriftstellers nach Motiven des autobiografischen »Erinnerung, sprich«. Da ist das Hotel in Montreux, wo der Dichter die letzten Jahrzehnte residierte und im Salon ein Interview gibt. Und dann die oben erwähnten Meta-Gespräche im Schneideraum, die auch den humoristischen Aspekt abdecken.

Thema auch da die Zeit; Leitmotiv ist der Anfang von »Erinnerung, sprich«, der das Leben als »kurzen Lichtspalt zwischen zwei Ewigkeiten des Dunkels« vorstellt. Eine Sentenz, die von Nabokovs Sohn Dimitiri in rhythmisiertem Englisch vorgetragen wird, visuell begleitet durch ein flackernd inszeniertes Home-Movie-Stück um die leere Wiege vor Vladimirs Geburt. Dieses Motiv rahmt den kongenial an Nabokovs eigener fragmentarischer Arbeitsweise orientierten kunstvoll verblendeten Film, der (von Elfi Mikesch in unterschiedlichsten Lichtstimmungen meisterlich in Szene gesetzt) in Ausstattung und Karim Sebastian Elias’ Score auch schon mal die Kitschgrenze touchiert.
Es muss nicht gesagt werden, dass unbedarften Zuschauern viele Referenzen unklar bleiben dürften; nicht einmal Nabokov-Experten werden jede Anspielung verstehen. So ist Bergmanns Film auch ein Plädoyer, einfach vom Faktischen loszulassen und sich aus dem Geschehen auf der Leinwand seinen eigenen Film zu machen. Sterben müssen wir schließlich alle.

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