Kritik zu Das Wunder von Marseille

© Tobis Film

Ein etwas anderes Flüchtlingsdrama: In dieser wahren Geschichte eines bengalischen Schachgenies werden zugleich Schlaglichter auf die Situation von illegalen Flüchtlingen nicht nur in Frankreich geworfen

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Es war im Jahr 2012, da machte in Frankreich ein Wunderkind Schlagzeilen. Der 11-jährige Fahim Mohammad, mit seinem Vater aus Bangladesch nach Frankreich geflüchtet, wurde französischer Schachchampion in der Altersgruppe unter 12 Jahren. Das Medieninteresse führte dazu, dass seinem Vater Nura, der bis dahin vergeblich Asyl beantragt hatte und untergetaucht war, vom damaligen Premierminister François Fillon eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde. Mit der Verfilmung von Fahims Geschichte will Regisseur Martin-Lavant exem­plarisch den Immigranten in Europa, ihrer Situation in der Illegalität, ihren Talenten ein Gesicht verleihen. Wie nebenbei wird auch die Menschlichkeit der großen und kleinen Helfer, die Fahim ohne viel Trara unterstützten, gewürdigt. Doch sei es aus Rücksicht auf die Privatsphäre des Jungen, der, inzwischen Gymnasiast, das Schachspielen aufgegeben hat, oder aus Budgetgründen: Im Film wird seine Odyssee in wichtigen Din­gen verändert, wobei Fragen aufgeworfen werden, um deren Beantwortung sich das Drehbuch etwas unbeholfen herummogelt. Dass zum Beispiel Fahim, der von seinem Vater mit fünf Jahren das Schachspiel beigebracht bekam, bereits 2008 nach Frankreich gelangte und nicht 2011 wie im Film, dass er mithin ein paar Jahre länger Unterricht im Kurs eines Schachgurus im Pariser Vorort Créteil genoss und mehr Zeit hatte, Französisch zu lernen, als dargestellt, macht in der Schilderung seiner reibungslosen Integration schon einen Unterschied aus.

Interessant ist der Film besonders dann, wenn Überflieger Fahim sich mit seinem ebenso ruppigen wie hilfsbereiten Mentor ins Benehmen setzen muss. Gérard Depardieu spielt, in einer Paraderolle, Schachlehrer Sylvain, der gerade wegen seiner nerdigen Schroffheit von seinen kleinen Schülern gemocht wird, und kommt dabei wohl seinem Vorbild, dem 2016 verstorbenen Xavier Parmentier, recht nahe. Sylvains Lebensmaximen, die er aus den Schicksalen großer Schachmeister zieht, und seine Schachstrategien verleihen Fahims Werdegang einen hübsch metaphorischen Überbau. Allzu vage bleibt dagegen Fahims Beziehung zu seinem Vater. So schafft es Nura, ein Feuerwehrmann, zwar, mit seinem Sohn vor politischen Unruhen und einem angedrohten Kidnapping zu fliehen. Doch seine permanente Unpünktlichkeit vermasselt Fahim fast den Turniersieg. Oft scheint es, als könne sich der Film nicht entscheiden zwischen einer realistischen Schilderung der Unzulänglichkeiten des Asylsystems und einer Schelmengeschichte, in der Nura als etwas chaplinesker Tölpel fungiert. Wenn bei einer Asyl-Anhörung etwa ein Dolmetscher böswillig Nuras Antworten verfälscht, ist dies eine fast komische Szene. Weitgehend unterschlagen wird die lange Obdachlosigkeit des Jungen, während andererseits sein größter Turniergegner in plakativer Schwarz-­Weiß-Malerei als rassistischer kleiner ­Schnösel auftritt. Fahims Leben ist wie gemacht fürs Kino – und doch hat man oft das Gefühl, dass die wahre Geschichte viel ­spannender ist als jene für die Leinwand verdichteten Momente.

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