Kritik zu Cäsar muss sterben

© Camino

Die Tavianis sind nach längerer Pause mit einem Paukenschlag auf die große Leinwand zurückgekehrt und haben sich auf der Berlinale den Goldenen Bären geholt: für ein großherziges humanes Stück Kino

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Die Tavianis haben von einer Freundin ganz zufällig von den Theaterprojekten im Hochsicherheitsgefängnis von Rebibbia am Stadtrand von Rom erfahren. Als sie dort vorbeischauen, trägt die Gefangenentruppe die Gesänge aus Dantes »Hölle« vor – in jener Mischung aus Poesie und regionaler Mundart, die auch das »Cäsar-Projekt« beflügeln sollte, in der Kunst und Leben durcheinandergewirbelt werden und das eintönige Leben der Sträflinge mit neuen Impulsen versorgt, wenn nicht in neue Bahnen gelenkt werden kann.

Einer hat es geschafft. Salvatore Striano, ein Schwerverbrecher wie alle anderen auch, hat nach seiner Entlassung vor sechs Jahren den Beruf des Schauspielers ergriffen und ist für die Rolle des Brutus auf die Knastbühne zurückgekehrt. Der Film hält sich an das Drehbuch, in dem Shakespeares »Julius Cäsar« so umgearbeitet wird, dass das Stück wie in einer Art »Making-of«, verteilt auf die Proben in den örtlichen Begebenheiten, Zellen, Flure, Freigangzonen, aufgeführt wird und den Gefängnisalltag wie die Gefühle, Gedanken, Träume der Darsteller einbeziehen kann. Nur zu Anfang und Schluss des Films werden Ausschnitte aus der fertigen Aufführung in Farbe und mit dem begeisterten Publikum zitiert. Am Anfang steht Brutus' Tod, die Selbstüberwindung des gerechten Mannes, der sich ins eigene Schwert stürzt und richtet. Farbe für das Fest der Gerechtigkeit. Farbe für die Wahrheit.

Der ansonsten (bis wiederum auf den Schluss) in Schwarz-Weiß gedrehte Film passt sich den nüchternen Betonmauern eines modernen Gefängnisses an, beschönigt nicht die triste Wirklichkeit, der erst die Wahrheit über ihre Insassen entlockt werden muss. In der Begeisterung, ja Identifikation der Darsteller mit ihren Rollen schwingt eine oft kindliche Berührtheit mit, die so kein Schauspieler auf die Waagschale legen kann. Dabei geht es nicht um die banale Beweisführung, dass jeder Mensch ein Schauspieler ist, sondern um die komplizierten Verhältnisse, die schon Shakespeare in seiner ersten Römertragödie zur Sprache bringen wollte. Die Ironie des Schicksals will es, dass Antonius den Mörder Brutus in seiner berühmten demagogischen Rede als »ehrenwerten Mann« an den Pranger stellt, während an dieser Aufführung doch ausschließlich solche »ehrenwerten Männer« beteiligt sind. Zu zeigen, wie sich diese Männer durch die Berührung mit den Spitzfindigkeiten der Literatur beinahe unfreiwillig auf den gewundenen Pfad der Veränderung, wenn nicht Besserung begeben, ist das große Kunststück des Films. »Julius Cäsar« erweist sich nachgerade als ideales »Knaststück«, das alle nur vorstellbaren Untaten bis zu Mord und Totschlag allein durch das Auftreten der Darsteller aufs Tapet bringt und eine Assoziationskette auslöst, die wie von selbst die Widersprüche des historischen Stücks modernisiert und umdeutet – ohne Lösungen herbeizaubern zu wollen oder zu können.

Den engen Kontakt mit der Wirklichkeit und den Sprachspielen haben die Brüder Taviani seit Anbeginn ihrer Regiearbeit geprobt. Schon in »Padre Padrone« (1977) überzeugten sie mit der Emanzipationsgeschichte eines von seinem Vater geknechteten und zur Stummheit verdammten sardischen Schafhirten, der die Sprache wiederfindet und sich zum Linguistikprofessor entwickelt – eine wahre Geschichte. Dass Befreiung nur aus dem Widerstand geboren wird, zeigt »Padre Padrone« am Beispiel eines Einzelschicksals. Viel anders verläuft die Auseinandersetzung mit der Freiheit auch bei einer Tragödie wie »Julius Cäsar« nicht, wo es auch um den Wandel des kollektiven Bewusstseins geht. Auch hier stehen der Mensch und seine Rechte im Mittelpunkt, seine Einsichten, Irrtümer, seine Selbstkritik, und nicht die hehren ideologischen und moralischen Prinzipien – darin sind sich Shakespeare und die Tavianis einig. Das macht die Stärke und Überzeugungskraft des Films an diesem ungewohnten Ort mit seinen ungewöhnlichen Darstellern aus. Das ist das humane Projekt der Tavianis, das sie wohl bis zu ihrem allerletzten Film verfolgen werden. Chapeau!

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