Kritik zu Belfast

© Universal Pictures

Kenneth Branagh öffnet ein sinnlich-nostalgisches Fenster in die eigene Kindheit als Protestant in Belfast. Ein 9-Jähriger  erlebt die »Troubles« wie einen real stattfindenen Western-Showdown, voller Thrill, aber auch zutiefst beängstigend

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Der Film beginnt mit einem Song des Nordiren Van Morrison über leuchtend-farbigen Bildern des Hafens von Belfast – als wäre es der Auftakt zu einem Feelgoodmovie aus der Gegenwart. Aber Belfast, war das nicht mal ein rauchender, explodierender Kriegsschauplatz? Mit einem Sprung über die Mauer und in die Vergangenheit taucht die Kamera dann in eine schwarz-weiße Version der späten 60er Jahre ein, ins wuselnd lebendige Treiben einer kleinen Wohnstraße im Arbeiterviertel der nordirischen Hauptstadt. Kinder lärmen und spielen mit Bällen, Holzschwertern und Mülltonnendeckeln als Schutzschilden, Mütter rufen, Männer palavern. Doch die unbeschwerte Leichtigkeit des Lebens wird jäh zerrissen, als ein Männermob mit Bomben, Knüppeln und brennenden Autos überfallartig in die eben noch so heile, schwarz-weiße Welt des 9-jährigen Buddy (Jude Hill) eindringt. Die Idylle des nachbarschaftlich friedlichen Zusammenlebens von Katholiken und Protestanten wird in Zeitlupe zerfetzt, der kleine Junge von einer Welle bedrohlicher Eindrücke überrollt, bis ihn seine Mutter (Caitriona Balfe) aus der Schockstarre in die Wohnung reißt und unter den Küchentisch schiebt.

Es sind starke Emotionen, die »Belfast« so auslöst. Im Widerspruch von familiärer und nachbarschaftlicher Geborgenheit auf der einen Seite und dem Einbruch der Bürgerkriegsgewalt auf der anderen wird die Geschichte der nordirischen »Troubles« ganz konsequent subjektiv, unmittelbar und ohne historische Einbindung aus der Perspektive eines kleinen Jungen erzählt, der Buddy heißt und ganz nah dran ist an der Wahrheit der von Kenneth Branagh selbst erlebten Kindheit. Wer hätte gedacht, dass der sonst vor allem mit Shakespeare, gelegentlich auch mit Agatha Christie beschäftigte Kenneth Branagh mal einen so sinnlichen, berührenden Film drehen würde? Dass er sich ganz unmittelbar, ohne intellektuellen Filter in das Staunen und die Angst eines kleinen Jungen hineinversetzt und die Welt in seinem neugierig naiven Blick spiegelt.

Buddy versucht, sich einen Reim zu machen auf die Dinge, die um ihn herum geschehen, auf die häufige Abwesenheit des Vaters (Jamie Dornan), der nur jedes zweite Wochenende bei seiner Familie zu Besuch ist, weil er in seiner nordirischen Heimat keine Arbeit findet und deshalb nach England pendeln muss, auf die unerklärlichen Kämpfe zwischen Protestanten, zu denen Buddys Familie gehört, und Katholiken, die in seiner Wahrnehmung den klaren Vorteil haben, dass sie allwöchentlich vom Priester in der Beichte von aller Schuld freigesprochen werden, auf die erste Liebe zu einer katholischen Klassenkameradin und vor allem auf die keimenden Pläne seiner Eltern, das unsichere Gebiet zu verlassen, nach England, Kanada oder womöglich Australien auszuwandern.

Verlässliche Begleiter durch all diese Unwägbarkeiten sind Buddys Großeltern, die ihm auf dem Sofa vor dem Fernseher mit guten Ratschlägen beim Navigieren durch die turbulenten Zeiten des Aufwachsens beistehen. Judi Dench und Ciarán Hinds spielen sie, angereichert mit all den Geschichten, die sie in ihren großen Karrieren angesammelt haben, auf hinreißend weise, brummige und zugleich warmherzige Weise mit großem Understatement. Aber auch Caitriona Balfe und Jamie Dornan zaubern die wechselhafte Chemie einer Ehe zwischen Liebe und Alltagsnöten, zwischen Tanz und Krieg glaubhaft auf die Leinwand. Ein weiterer Rettungsanker in diesen stürmischen Zeiten ist die Kunst: Wenn Buddy mit seiner Familie im Kino »Chitty Chitty Bang Bang« sieht oder mit seiner Großmutter im Theater Charles Dickens' »Weihnachtsgeschichte«, dann eröffnen sich mitten in der schwarz-weißen Wirklichkeit in glühenden und strahlenden Farben die Welten der Fantasie vor den staunenden Augen des Jungen, der später zum Film- und Theaterregisseur und Schauspieler heranwachsen wird.

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