Kritik zu Aus meiner Haut

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Fortschritt durch Körpertausch: Der Film des Regisseurs Alex Schaad (sein Bruder Dimitrij hat am Drehbuch mitgeschrieben und spielt eine der Hauptrollen) ist ­weniger Science-Fiction als vielmehr Gedankenspiel

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Ich kann nicht raus aus meiner Haut. In deiner Haut möcht' ich nicht stecken. Ich könnte aus der Haut fahren. Mir ist nicht wohl in meiner Haut. Das geht mir unter die Haut. Und so weiter. Zahlreich sind die deutschen Redewendungen, in denen der Begriff »Haut« eine Rolle spielt. Die Haut, die ehrlich sein kann oder dick oder faul oder heil, sie stellt die Grenze zwischen innen und außen dar, sie markiert den Unterschied zwischen dem Ich und dem Körper und der Welt. Und wie oft hat man sich schon gewünscht, das Gegenüber könne durch die eigenen Augen sehen, würde einen dann besser verstehen, und die schmerzhafte Differenz würde kleiner. Oder man könne, um endlich zu wissen, was im anderen eigentlich Rätselhaftes vorgeht, in dessen Schuhe steigen.

Für sein Langfilm-Regiedebüt »Aus meiner Haut« hat sich Alex Schaad das komplexe Verhältnis von Körper und Identität vorgenommen, das Metaphorische ins Praktische gewendet und anhand des Motivs des Körpertauschs unterschiedliche Fragestellungen entschlossen durchexerziert. Im Drehbuch – das Schaad gemeinsam mit seinem Bruder, dem Schauspieler Dimitrij Schaad, geschrieben hat – wird auf jegliche Erklärung dafür, wie der Körpertausch funktioniert, verzichtet. Ob Wissenschaft dahintersteht oder ob es sich um ein esoterisches Phänomen handelt, bleibt offen. Es gibt einen aus der Landschaft aufragenden Turm, es gibt eine Treppe, die in ein Wasserbecken führt, Aufschluss gibt es keinen. »Aus meiner Haut« ist keine Science-Fiction, sondern ein Gedankenspiel.

Fakt ist, dass Tristan und Leyla deren Freundin Stella auf einer Insel besuchen, um an den Ritualen teilzunehmen, die Stellas Vater dort einst initiiert hat. Tristan ist ein sensibler, feminin anmutender Mann, der versucht, auf die Bedürfnisse Leylas, einer mit vielerlei Unsicherheiten kämpfenden Frau, Rücksicht zu nehmen. Stella wiederum ist während einer Tauschphase im Körper ihres an ihrer Stelle verstorbenen Vaters hängengeblieben, worüber dessen Lebensgefährte Roman nachvollziehbarerweise verzweifelt ist. Das Losverfahren schiebt Tristan und Leyla als Körpertauschpartner Mo und Fabienne zu, einem Ehepaar in der Krise; er ist laut, schwabbelig, ordinär, und sie fühlt sich gefangen und verkannt. Sie verspottet ihn, er ignoriert sie, beide sind unglücklich. Eigentlich sind sie alle unglücklich. Ob wohl eine andere Haut hilft?

Später wird Tristan-in-Mos-Körper mit Fabienne-in-Leylas-Körper schlafen, weil er sich nach der Vertrautheit mit seiner Freundin sehnt und sie sich nach der Zärtlichkeit eines Mannes, der sie respektiert. Und Mo-in-Tristans-Körper wird mit der Begründung, das sei schließlich seiner, mit Tristan-in-Mos-Körper Sex haben wollen. Doch damit ist das Ende der Fahnenstange, die Schaad mit »Aus meiner Haut« auf dem Gebiet der Genderfluidität aufpflanzt, noch lange nicht erreicht. Zum Glück gibt es Zwischentitel, auf denen die unterschiedlichen Person-Körper-Konstellationen, welche im Fortgang der Geschichte aufeinandertreffen, jeweils aufgelistet sind.

Für die Darsteller*innen ist dieser Film ein Fest, und das Ensemble – Mala Emde und Jonas Dassler als Leyla und Tristan sowie Maryam Zaree und Dimitrij Schaad als Fabienne und Mo – nimmt die Herausforderung mit großer Spielfreude an. Jede*r bekommt es mit gleich mehreren Figuren zu tun beziehungsweise mit der Aufgabe, nicht nur die »eigene« Ausgangsfigur, sondern auch die eines/r anderen in seinem/ihrem Körper sichtbar zu machen. Dass schließlich nicht mehr nur Identitäten, sondern auch Geschlechter und sexuelle Orientierungen getauscht werden, führt zur Vernebelung jener Grenzen, entlang derer »normalerweise« ein Ich konstruiert wird. Am Ende taucht aus der solcherart angerührten Ursuppe ein befreiter Mensch auf. Oder wenigstens einer, der sich im anderen erkennen und akzeptieren kann – eindeutig ein zivilisatorischer Fortschritt.

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