Kritik zu Auge um Auge

Trailer deutsch © Tobis

Scott Cooper, der mit Crazy Heart groß herauskam, legt nun mit einem stimmungsvoll-düsteren Rachedrama nach, das mit Christian Bale, Casey Affleck, Woody Harrelson, Willem Dafoe, Forest Whitaker, Sam Shepard und Zoe Saldana extrem prominent besetzt ist

Bewertung: 4
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4 (Stimmen: 6)

Der Film wurde, wie die Macher voller Stolz im Abspann verkünden, auf 35-mm-Kodakfilmmaterial gedreht. Was einmal selbstverständlich war, gleicht mittlerweile fast einem Akt des Widerstands. Wer heute noch auf 35 mm dreht, setzt eben nicht nur auf eine andere Technik. Er sucht zugleich auch die Nähe zur Vergangenheit, zur Geschichte des Kinos, die mit der Digitalisierung in eine neue Phase getreten ist. Natürlich stehen Regisseur Scott Cooper und sein Kameramann Masanobu Takayanagi letzten Endes auf verlorenem Posten. Schließlich wird auch ihr Film in den meisten Kinos digital vorgeführt. Dennoch war ihre Entscheidung für klassisches Filmmaterial nicht vergebens.

Coopers Rachedrama bewahrt selbst in digitaler Projektion noch einen eigenen Look. Das Licht, das hier die Wälder von Pennsylvania und New Jersey erfüllt, ist weicher und ein wenig milchiger als sonst. Das Grün der Wiesen und Blätter strahlt etwas kräftiger. Und es sind eben diese Farben und dieses fast schon magische Licht, die eine andere, lange vergangene Zeit heraufbeschwören. Es ist fast so, als schrieben wir wieder das Jahr 1979, als Michael Ciminos The Deer Hunter in die Kinos kam.

Natürlich spielt Auge um Auge unverkennbar im frühen 21. Jahrhundert. Einmal läuft im Hintergrund im Fernsehen eine Rede Edward Kennedys, der Barack Obama im Präsidentschaftswahlkampf unterstützt. Doch der Geist, der Coopers Film erfüllt, ist der des Kinos der 70er Jahre. Wie damals Cimino konzentriert sich auch Cooper erst einmal ganz auf das Milieu, in dem seine Figuren leben. Die Kleinstadt Braddock, die einmal als Wiege der amerikanischen Kohle- und Stahlindustrie galt, ist vom schon Jahrzehnte andauernden Niedergang eben dieser Industrie nahezu ganz ausgezehrt. Von den Häusern der Arbeiter blättert die Farbe ab. Einst produktive Industrieanlagen sind verlassen und verwittern.

Aber es gibt immer noch Männer wie den von Christian Bale gespielten Russell Baze, der wie zuvor schon sein Vater im letzten Stahlwerk von Braddock schuftet. Die Familie ist alles für ihn. In seiner Freizeit, wenn er nicht gerade Doppelschichten macht, kümmert er sich um seinen schwerkranken Vater oder hilft seinem jüngeren Bruder Rodney (Casey Affleck), einem Soldaten mit Spielsuchtproblem. Doch dann lässt sich Russell zu einem Drink zu viel hinreißen. Auf der Fahrt nach Hause kommt es zu einem folgenschweren Unfall, und er landet für Jahre im Gefängnis.

Als Russell zurück nach Braddock kommt, hat sich die Situation noch verschärft. Er bekommt zwar seinen alten Job zurück. Aber das letzte verbliebene Stahlwerk hat längst keine Zukunft mehr. Außerdem hat sich sein Bruder Rodney mit dem skrupellosen Hillbillygangster Harlan ­DeGroat (Woody Harrelson) eingelassen.

Coopers Tragödie einer Familie und einer ganzen Region erinnert in ihrer Unerbittlichkeit an ein sich ganz langsam bewegendes Mahlwerk. Alles greift ineinander. Jede Handlung, jedes Ereignis ist nur ein weiteres Moment in einem nicht mehr aufzuhaltenden Prozess der Zerstörung. In seiner Bewegung in Richtung Rachethriller entfaltet der Film eine fatalistische Kraft. Aber bevor es soweit ist und die Gesetzmäßigkeiten des Genres ihren Tribut fordern, lässt sich Cooper ungeheuer viel Zeit. Er blickt mit überwältigender Sympathie auf Braddock und seine Menschen.

Im zarten Licht des Films wirkt Christian Bale viel verletzlicher als sonst. Er hat etwas Weiches an sich. Wie er seinem Vater ein kühlendes Tuch auf die Stirn legt oder heimlich die Schulden seines Bruders bezahlt, das sind die Gesten eines Mannes, der um ein Leben in Würde kämpft. Selbst als er schon auf seinem Rachefeldzug ist, bleibt da noch ein Rest an Milde und Empfindsamkeit. Nur kann auch er sie sich als Gefangener in der Maschinerie des amerikanischen Kapitalismus nicht bewahren. Wie sagt Brad Pitt am Ende von Killing Them Softly: »Amerika ist ein Geschäft.« Scott Cooper erzählt von denen, die die Rechnung zahlen müssen.

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