Kritik zu 28 Years Later

© Sony Pictures

In der lang erwarteten Fortsetzung setzen Regisseur Danny ­Boyle und sein Drehbuchautor Alex Garland einige überraschende neue Akzente

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Eine Schar Kinder sitzt vor dem Fernseher. Über den Bildschirm flimmern die Teletubbies, lachen und jauchzen, über ihnen strahlt die Babysonne. Unschuldige Unterhaltung und nicht selten auch ein elterliches Mittel, den Nachwuchs abzulenken. Vom Krach und Gepolter in der Küche, den die Kleinen zunehmend besorgt wahrnehmen – aber sie bleiben doch sitzen. Was hinter der Milchglastür eskaliert, ist allerdings kein handfester Streit zwischen Mama und Papa. Sondern viel schlimmer. Es sind zombieartige Kreaturen auf der Suche nach menschlichen Opfern, an denen sie sich festbeißen, bis das Blut spritzt und sich die Angegriffenen in Sekunden ebenfalls in blutrünstige Untote verwandeln. Nur einem der Jungen gelingt es, zu entkommen. Er sucht Zuflucht in der nahen Kirche, doch auch hier dringen binnen kurzem die Menschenfresser ein, freudig empfangen vom Priester, der in der Invasion das Jüngste Gericht sieht. Auch Angst ist ansteckend.

Mit diesem Kontrast aus infantiler Harmlosigkeit, Splatter und bitterer Farce beginnt »28 Years Later« und gibt damit einen Ton zwischen expliziter Gewalt und Sarkasmus, Familiendrama und Zombieapokalypse an. Die lang erwartete Fortsetzung setzt aber auch einige überraschende Akzente, nicht alle treffsicher. 

Als der britische Regisseur Danny Boyle nach seinem Erfolg mit »Trainspotting« und »The Beach« 2002 zusammen mit dem damals noch kaum bekannten Co-Autor Alex Garland das Low-Budget-Projekt »28 Days Later« ins Kino brachte, galt es mit seiner rasant geschnittenen, bewusst billig wirkenden Digitaloptik vielen schnell als neues Standardwerk des zunehmend popkulturprägenden Zombiefilmgenres. 

In »28 Days Later« überträgt sich ein Virus von Versuchsaffen aus einem Labor auf Menschen und verwandelt die Infizierten in rasende, blutrünstige Kreaturen auf der Suche nach Menschenfleisch. Im Rückblick 23 Jahre später wirkt der Film mit dieser Origin Story und vor allem den spektakulären Bildern des menschenleeren Londons fast wie eine dystopische Vorahnung auf die Covid-Pandemie. Die erste Fortsetzung, »28 Weeks Later« von 2007, mit neuer Besetzung und inszeniert vom Spanier Juan Carlos Fresnadillo, endete dann mit der Invasion der Infizierten am Eiffelturm in Paris. Das Virus hatte auf den Kontinent übergegriffen.

Seitdem hat Boyle zusammen mit Garland einen weiteren Teil geplant, wieder unter eigener Regie. Aus Monaten wurden Jahre mit endlosen Rechtestreits und diversen Drehbuchfassungen in der Entwicklung. Und aus dem ursprünglichen Arbeitstitel »28 Months Later« entsprechend »28 Years Later«, der erste Teil einer neuen Trilogie. Boyle / Garland bleiben dabei zwar der Virus-Apokalypse treu, verkneifen sich aber die offensichtlichen Anspielungen auf Lockdown-Erfahrungen und ausgestorbene Großstädte. In ihrer Endzeitversion geht es diesmal zurück in die Natur, ihre postpandemische Normalität ist ein tribalistisches Dasein zwischen Zusammenhalt, Bewaffnung und einem Zustand ständiger Alarmbereitschaft.

Der »Rage-Virus« ist vom europäischen Kontinent zurückgedrängt nach Großbritannien, das unter Quarantäne steht. Vor dessen Nordostküste auf einer kleinen Insel lebt abgeschottet eine virenfreie Gemeinschaft unter primitiven Bedingungen. Darunter der 12-jährige Spike (Alfie Williams) mit seinen Eltern. Nur ein schmaler Damm verbindet das Eiland mit Großbritannien, zu Fuß überquerbar für wenige Stunden bei Ebbe, sonst unter Wasser. Nur hin und wieder wagt sich jemand aus dem Dorf jenseits des schwer gesicherten Tors auf die Hauptinsel, um nach Holz oder Nahrung zu suchen.

Als eine Art Initialritus nimmt Jamie (Aaron Taylor-Johnson) seinen Sohn Spike mit aufs Festland, um mit Pfeil und Bogen ein paar Infizierte zu erlegen, die dort in der harmlosen Variante wie dicke Nacktmulle über den Waldboden kriechen, sich von Würmern ernähren und eher grotesk als gefährlich erscheinen. 

Durch Virusmutationen gibt es noch weitaus schnellere und aggressivere Alphas, ebenfalls nackt und in der maskulinen Variante mit imposantem Gemächt. »Je mehr du tötest, desto leichter wird es«, bläut Jamie dem Jungen sein Survival-Mantra ein. Später, nach der Rückkehr,  prahlt er vor der johlenden Gemeinde mit den vermeintlichen Heldentaten seines Sohns. Von den Loblügen seines Vaters überrumpelt, sorgt sich Spike ohnehin mehr um seine bettlägerige Mutter Isla (Jodie ­Comer), die physisch und psychisch leidet, ohne ärztliche Diagnose und Versorgung. Als er von einem Wunderdoktor (Ralph Fiennes) auf dem Festland hört, setzt Spike alles daran, seine Mutter zu ihm zu bringen.

Boyle / Garland erweitern damit das Zombie-Subgenre um Elemente aus Folkhorror und Sozialdrama, vermengen Blutfontänen und Ekelhorror mit wenig subtiler Kritik an Patriarchat und Rollenbildern sowie überdeutlichen Reflexionen um Sterblichkeit und Erinnerung. (»Memento mori«, raunt Ralph Fiennes als Wunderheiler inmitten seines überdimensionalen Mahnmals aus Menschenknochen). Auch filmische Verweise streuen die Autoren ein, von Szenen aus Laurence Oliviers Shakespeare-Adaption Henry V. bis zu Aufnahmen der britischen Truppen aus dem Ersten Weltkrieg. Visuell schließen sie in Teilen an das Original an, Kameramann Anthony Dod Mantle drehte einige Szenen mit dem I-Phone, was ihnen eine sehr unmittelbare Ästhetik verleiht. Doch so richtig will sich diese Fledderei zu keinem organischen Ganzen fügen; alles bleibt thematisch und stilistisch Stückelei.

Bereits abgedreht ist »28 Years Later: The Bone Temple« unter der Regie von Nia DaCosta, der am 15. Januar startet. Dann soll es auch ein Wiedersehen mit Cillian Murphy, Hauptdarsteller des ersten Teils, geben. Den finalen Film der Trilogie wird erneut Danny Boyle inszenieren. Titel und Starttermin sind noch nicht bekannt.

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