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Freakshow und Stuntfest: Das Reboot der Kultserie mit dem unterforderten Tom Hardy in der Mel-Gibson-Rolle bietet pure, atemlose Action. Aber im Auge des Hurrikans herrscht große Leere
Wer weiß, vielleicht ist die Apokalypse ja schon »auserzählt«. Und möglicherweise hat George Millers ursprüngliche Trilogie mit ihrem evolutionären Spannungsbogen aus Niedergang, Zusammenbruch und Neuaufbau tatsächlich alles gesagt, was über postzivilisatorische Barbarei und testosteronstrotzende Raserei zu sagen ist. Jedenfalls gab es für den Regisseur dreißig Jahre nach Jenseits der Donnerkuppel offensichtlich keinen Grund, noch einmal in die Psychologie des Protagonisten oder die Dramaturgie seiner Heldenreise einzusteigen. Er lässt alles weg, was als »Hintergrund«, »Geschichte« oder »Charakterisierung« dienen könnte, macht kaum Identifikationsangebote und verzichtet sogar auf das, was man gemeinhin als Spannung bezeichnet. Stattdessen schwelgt der Film 120 Minuten lang in reiner Bewegung und zelebriert dabei die Ikonografie der Marke »Mad Max«: fantasievoll getunte Vehikel, schrille Sadomaso-Outfits, kunstvoll deformierte Körper, brachiale Gewalt. Ohne Zweifel ist Fury Road in seiner Preisklasse das Radikalste und Reduzierteste, was das Actionkino je zu bieten hatte.
Das Drehbuch dürfte locker auf zwei, drei Schreibmaschinenseiten gepasst haben, Schriftgröße 18, zweizeiliger Abstand. Kaum hat der neue Max Rockatansky (Tom Hardy) aus dem Off seine finstere Überlebensphilosophie kundgetan und eine zweiköpfige Echse roh gefrühstückt, landet er als Gefangener im Verlies der Citadel. Das ist eine Felsenstadt, die an Tina Turners Imperium aus Teil 3 erinnert, aber von einem noch groteskeren Potentaten (schon im ersten Mad Max der Antagonist: Hugh Keays-Byrne) und dessen bleichen Muskelkohorten beherrscht wird. Max wird als lebende Galionsfigur vor einen Monstertruck gebunden und erlebt die erste der beiden großen Verfolgungsjagden des Films notgedrungen als passiver Beobachter, bis er schließlich ein Bündnis mit der knallharten Furiosa (grandios: Charlize Theron) eingeht, die gemeinsam mit fünf jungen Liebesdienerinnen des Herrschers, eine davon hochschwanger, auf der Flucht ist.
Das mag nach einer klassischen Konstellation klingen, die Gründung einer Zweckgemeinschaft in der Not, aber alles, was eigentlich an Austausch, Annäherung und Abstoßung zur Genreprogrammatik gehört, wird hier aufs Minimalmaß eingedampft. Miller hat keine Zeit für seine Figuren, er ist viel zu beschäftigt mit Stunts und Maschinen (weitestgehend hübsch analog), mit den durchaus imposanten Bildern von durch die flirrende rote Wüste donnernden Endzeitkarawanen. Für die Menschen bleiben bloß knappste Zeichen und kürzeste Dialoge. Nur wenn Schwarzblenden das Ende der Sequenzen signalisieren und das ganze Gedröhne für ein paar Sekunden zum Stillstand kommt, darf man kurz durchatmen.
Keine Frage, wir sehen hier einen 150 Millionen Dollar teuren Autorenfilm: Jede Einstellung ist Beleg dafür, dass der Regisseur sich hemmungslos seinen Exploitation-Vorlieben hingibt (ein Quentin Tarantino ohne Ironie, ein Walter Hill ohne Sinn für Stilisierung), seiner schieren Lust an grellen Oberflächen und bizarrer Ästhetik. Ungezählt seine Variationen spektakulärer Attacken, Kollisionen und Explosionen. Aber anders als in den früheren, bedeutend bescheideneren Beiträgen zur Serie ist Miller bei aller handwerklichen Meisterschaft hier das erzählerische Zentrum abhanden gekommen. Sicher, die Themen sind dieselben geblieben, auch die Haltung lässt sich noch erahnen, trotzdem ist die ungeheure Leere des Films stets spürbar.
Das mag auch an der Hauptfigur liegen. Hardy macht seine Sache in physischer Hinsicht nicht schlecht, er mixt die rohe Gewalt früherer Figuren aus Bronson und The Dark Knight Rises mit der schüchternen Unaufdringlichkeit des jungen Mel Gibson, dessen Erbe er hier antritt. Insgesamt aber hat Hardy jenseits der Stunts zu wenig zu tun, um uns für sich einnehmen zu können. Erst ganz am Ende entwickelt er einen Hauch von Charisma.