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Daniel Craig nimmt Abschied von der Bond-Rolle, ohne Wenn und Aber. Vollendet sich nach fünf Filmen damit ein Quintett? Oder ist die Fortschreibung der Saga nur ein Nachschlag?
Er trat fest auf, stets ein wenig breitbeiniger als seine Vorgänger. So nahm er eine stabile Position ein, denn er bewegte sich auf gefährlichem Boden. Dabei wirkte er selten anmaßend, denn meist markierte seine Stellung auch ein Innehalten. Sonst war er ständig in Bewegung, machte sich jede Variante der Mobilität zunutze. Welche Gedanken ihm in diesen kurzen Auszeiten durch den Kopf gingen, konnte man nur erahnen. Wenn Zweifel darunter waren, behielt er sie für sich. In »Skyfall« waren diese Momente der Sammlung besonders einprägsam. »M« fand ihn in der Haltung neben seinem Aston Martin vor, als sie frühmorgens erwachte auf ihrer Flucht nach Schottland und in seine Vergangenheit. Am Ende nahm Daniel Craig sie noch einmal ein, als er über die Dächer von London blickte und merkte, wie sehr er seine Mentorin vermisste.
In» Keine Zeit zu sterben« kehren diese Elemente zurück: die frenetische Mobilität, das Mandat der Weltrettung und im Gegenzug das Grübeln und der Verlust. Die Breitbeinigkeit soll ihn nun wappnen gegen Gefahren und Anfechtungen, wie er sie bisher nicht kannte. Er ist nicht mehr der James Bond, der er war; schon »Spectre« spielte mit dem Gedanken, er sei ein Auslaufmodell. Craig ist sprungbereit wie eh und je, hat seither aber an Gravitas gewonnen. Seine Stimme klingt tiefer; nicht müde, aber altgedient.
Als sein aktuelles Abenteuer nach einem langen Vorlauf beginnt, hat er seine Lizenz zum Töten längst zurückgegeben und verbringt seinen Ruhestand auf Jamaica. Die dramaturgische Bewegung dorthin ist erstaunlich. Wann hätte je ein Bond-Film mit einer Rückblende begonnen? Die überdies nicht ihm »gehört«, sondern ein Kindheitstrauma seiner Lebensgefährtin Madeleine (Léa Seydoux) evoziert? Als der Film daraus in die (vorläufige) Gegenwart auftaucht und ihr gemeinsames Liebesglück zelebriert, wird es umgehend von den Spektren der Vergangenheit eingeholt. Bond beherzigt die Lektion von »M«, niemandem zu trauen, und trennt sich von seiner (nach Vesper Lynd) zweiten großen Liebe. Darauf folgt eine Ellipse von fünf Jahren, was unerhört ist in dieser Saga, die seit jeher auf der unbedingten Dringlichkeit des Handelns besteht.
Cary Fukunaga stellt in »Keine Zeit zu sterben« alles auf Anfang und zugleich auf Ende. Er versucht eine Neubestimmung des Mythos in seiner Abenddämmerung. Ein fremdes Genre drängt sich in das Gefüge des Agententhrillers: das Melodram. Es legt den Film auf einen heiklen Wechselrhythmus von Elegie und Action fest.
Dem vielstimmig verfassten Drehbuch ist die Anstrengung anzumerken, Alternativen zu den alten Formeln zu finden sowie die Bereitschaft, sie umgehend wieder zu verwerfen. Fukunaga respektiert die Folklore der Saga – das Refugium des Weltbedrohers Safin (Rami Malek) zitiert den cleveren Brutalismus der Szenenbilder von Ken Adam. Gleichzeitig lässt er das Erzählsystem Bond zu einer Festung mit lauter offenen Einfallstoren werden.
Die Gewissheiten, die mit »Spectre« endgültig erschüttert schienen, stellt »Keine Zeit zu sterben« erneut zur Disposition. Am Empfang des MI6 sagt der Name Bond niemandem mehr etwas. Er trägt seine Deklassierung zuerst mit Humor und dann zusehends mit Würde. Craig verkörpert die Figur nach wie vor mit einer Hingabe, der er stets einen Hauch von Vorbehalt bewahren will. Die besondere Gabe dieses Schauspielers ist es, Dinge zuzulassen. Sein Bond ist nun eine Figur des Danach. Er kann zurücktreten. Nomi (Lashana Lynch), die jetzt den Posten 007 bekleidet, muss er nicht als Konkurrenz betrachten, sondern lernt sie als Komplizin schätzen. Wie er den Staffelstab an sie weiterreicht, ist ein ungemein bewegender und befreiender Moment: Als sie bereit ist, ihm auf seiner letzten Mission beizustehen, sagt Bond »Danke, 007.« Craig legt ein Pathos in diesen Generationenvertrag, das nur ermessen kann, wer seine Verwandlung der Figur über fünf Filme hinweg verfolgt hat. Es ist leise, nicht breitbeinig.