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Sherry Hormann hat den wahren Fall der Hatun Aynur Sürücü verfilmt, die von ihren Brüdern ermordet wurde, weil sie in Berlin-Kreuzberg ein selbständiges Leben führen wollte

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Auf dem Gehsteig vor einem Berliner Mietshaus liegt eine Leiche, bedeckt mit einem weißen Tuch. »Das bin ich«, teilt die Stimme einer jungen Frau aus dem Off mit: »Mein Bruder hat mich erschossen.« Gleich im ersten Bild ihres neuen Films »Nur eine Frau« macht die Regisseurin Sherry Hormann (u. a. »Wüstenblume«) klar, dass hier jemand in eigener Sache spricht und damit die Deutungshoheit über die Geschichte beansprucht. Jemand – das ist Hatun Aynur Sürücü, eine junge Frau, die im Jahr 2005 einem »Ehrenmord« zum Opfer fiel, weil sie sich von der Tradition ihrer strenggläubigen kurdisch-türkischen Familie gelöst hatte. Der Fall zog ein gewaltiges Medienecho nach sich. Ihn fürs Kino aufzubereiten, war wohl nicht ohne Risiko.

Denn leicht hätte das Ganze als plakatives Drama enden können. Das tut es aber nicht, was auch dem lakonischen Ton zu verdanken ist, der nun einer Hauptfigur gegeben wird. Deren subjektive Sicht bestimmt den Film. Quasi aus dem Jenseits, mit dem Abstand der Wissenden kommentiert Aynur den Gang der Ereignisse, die zu ihrem Tod führen werden, und später vor Gericht. Zurückgegriffen wurde dabei auf das Buch »Ehrenmord: Ein deutsches Schicksal« von Matthias Deiß und Jo Goll, auf Hintergrundberichte und Gerichtsakten. Der Filmtitel »Nur eine Frau« weckt verschiedene Assoziationen: Hier geht es nicht allein um die Geringschätzung und totale Bevormundung von Frauen in patriarchalisch-archaischen Strukturen, sondern auch darum, dass vielen Frauen in einem solchen Milieu das Gleiche wie Aynur angetan wurde und wird.

Der Film ist chronologisch aufgebaut. Die Handlung setzt im Jahr 1998 ein, als die 15-jährige Aynur, natürlich mit Kopftuch, auf Wunsch der Eltern vom Gymnasium abgeht, weil sie in der Türkei verheiratet werden soll. Hochschwanger flüchtet sie vor dem gewalttätigen Ehemann zurück zur Familie nach Berlin-Kreuzberg. Dass sie sich nicht still gefügt hat, wird ihr nicht verziehen. Vater, Mutter und neun Kinder leben in drei Zimmern. Aynur wird mit dem Baby in der fensterlosen Abstellkammer untergebracht, wo sich einer der Brüder nachts an ihren Brüsten erregt. Konflikte und Tätlichkeiten wie der von Aynur den Eltern angezeigte Missbrauch werden sofort zuungunsten der jungen Mutter interpretiert. Dass die Hauptfigur dennoch nicht nur als Opfer erscheint, ist Folge ihrer Stärke, aber auch Ergebnis einer gelungenen Inszenierung.

Neben den prägnanten Kommentaren aus dem Off, die das Geschehen mitunter vorwegnehmen, werden so etwa die sozialen Gegebenheiten immer wieder durch grafische Elemente, Schriftinserts (»Bruder 1« etc.) rhythmisiert und gewissermaßen versachlicht – angesichts eines Binnenklimas, das durch fehlende Affektkontrolle und hohe Gewaltbereitschaft gekennzeichnet ist. »Nur eine Frau« ist auch das Psychogramm einer Familie. Die eigentliche Spielhandlung wird in ihrer Dramatik zudem gebrochen, ­indem Homevideos mit Aufnahmen der realen Hatun Aynur Sürücü dazwischengeschnitten sind, gewissermaßen als Momente des Innehaltens. Für die hervorragende Bildgestaltung ist Judith Kaufmann verantwortlich, für die Montage Bettina Böhler.

Ebenfalls mit Hilfe von Schriftinserts erklärt Aynur aus dem Off die Kriterien des Bundeskriminalamts, die zum Tatbestand »Ehrenmord« führen können. Ihnen zufolge gilt es bereits als ehrverletzend, wenn eine Frau die Rolle des Mannes als Ernährer und Beschützer der Familie gefährdet, indem sie etwa einen Beruf ergreift. Das tat Aynur, indem sie nach ihrem Einzug in eine eigene Wohnung – auch dies gegen den Willen der Familie – eine Lehre als Elektrotechnikerin begann. Da hatte sie das Kopftuch schon abgelegt.

Die Schauspieler sind durchweg wundervoll, allen voran Almila Bagriacik als Hatun Aynur Sürücü. Dass man diesem Film quasi mit angehaltenem Atem folgt, ist keine geringe Leistung eines exzellenten Teams.

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