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Männer in fliegenden Blechbüchsen: Damien Chazelle verfilmt Neil Armstrongs Weg zur Mondlandung weniger als Geschichte eines nationalen Triumphs denn als persönlichen Leidensweg eines sehr verschlossenen und bescheidenen Helden
Gleich in den ersten Bildern wird der Zuschauer durchgerüttelt und geschüttelt, als säße er selbst in einem Raumschiff, das unter dem Druck der Atmosphäre jeden Moment nachgeben könnte. Damien Chazelle überträgt die Erfahrungen des Weltraumfluges, den ohrenbetäubenden Maschinenlärm, die physische und psychische Belastung, die Einsamkeit und den Druck ganz direkt und unmittelbar ins Kino. Hier wird der Zuschauer für gut zwei Stunden zum Astronauten, vor allem die mit 65mm-IMAX-Kameras gedrehten Mondsequenzen, aber auch die diversen Testflugszenen (Kamera Linus Sandgren) entwickeln dabei eine erhabene, lyrische Schönheit.
Wie bereits in »Whiplash« und »La La Land« geht es auch im vierten Spielfilm des Oscar-Wunderkindes Damien Chazelle um das Streben nach dem Höchsten, auch hier ohne Rücksicht auf persönliche Verluste. Nachdem sich seine ersten drei Filme aus seiner persönlichen Leidenschaft für die Musik speisten, verfilmt er jetzt zum ersten Mal ein fremdes Drehbuch, das Josh Singer, Autor unter anderem von »Spotlight« und »Die Verlegerin« nach dem Sachbuch »First Man: The Life of Neil Armstrong« verfasst hat. Es geht um den ersten Flug zum Mond, allerdings nicht als nationalen Triumph, sondern als persönlichen Leidensweg eines zerrissenen Helden. Auf die mythisch ikonische Szene, in der die amerikanische Flagge in den Mondboden geschlagen wird, wartet man hier jedenfalls vergeblich. Stattdessen gibt es intime Momente menschlicher Unzulänglichkeit, beispielsweise wenn sich der von Ryan Gosling gespielte Neil Armstrong nur auf Druck seiner Frau (Claire Foy) von seinen beiden kleinen Söhnen verabschiedet und dabei in der für die Generation der Nachkriegsmänner typischen Gefühlsverkrüppelung keinerlei Nähe findet. »Noch Fragen?« Im Grunde hält er auch vor den beiden Kindern nur eine Pressekonferenz ab, die er mit einem nüchternen Händedruck beschließt.
Erneut übernimmt Ryan Gosling eine Rolle, die sich wie ein Alter Ego von Chazelle anfühlt, der als Regisseur genauso leidenschaftlich inspiriert und entschlossen an die Arbeit geht wie seine Helden, angereichert mit jenen Funken Wahnsinn, die Künstler und Pioniere gleichermaßen über sich hinaus wachsen lassen. In einem detaillierten Abriss der Jahre 1961 bis 1969 geht es auch in »Aufbruch zum Mond« um den steinigen Weg zu den Sternen des Erfolgs, um die vielen organisatorischen, erfinderischen, aber auch menschlichen Etappen und Rückschläge auf dem Weg dorthin. Wer in der Nacht vom 21. auf den 22. Juli 1969 einst als Kind geweckt wurde, um den historischen Moment live mitzuerleben und damals nur eine diffuse Ahnung von der Größe des Moments hatte, der bekommt jetzt, gut fünfzig Jahre später, wirklich ein Gefühl für die komplizierten Abläufe, für all die kleinen und großen Probleme, die vor dem Aufbruch in dieses völlig neue Terrain zu bewältigen waren. Das könnte eine ziemlich trockene Angelegenheit sein, wenn Damien Chazelle nicht diese besondere Fähigkeit hätte, den Zuschauer in seine extreme Wahrnehmung hineinzuziehen, in die niederschmetternden Ängste ebenso wie in die hochfliegende Euphorie.
Die größte Niederlage erlebt Neil Armstrong schon 1962, als seine kleine Tochter im Alter von gerade mal zwei Jahren an einem Hirntumor stirbt. Dieses Trauma wird im Film zum Gegenpol der Mondlandung, hier die Grenzen der Wissenschaft, dort ihre unbegrenzten Möglichkeiten, hier das Scheitern, dort der Erfolg, mit dem Armstrong die innere Leere zu füllen versucht. Das Öffentliche und das Private sind die beiden Pole, zwischen denen Chazelle seine Geschichte aufspannt, und Ryan Gosling sein Spiel. Hinter der beherrschten Fassade lässt der immer wieder die feinen Risse durchschimmern, den inneren Tumult eines Menschen an der Grenze.