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© Camino

Seit »Waltz with Bashir« ist das Animationskino auf neue Weise zuständig für die Wirklichkeits­darstellung. Der Film des in Köln lebenden Exil-Iraners Ali Soozandeh entfaltet ein Panorama sexueller Unterdrückung im heutigen Teheran

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Manchmal erscheint die Stadt fast als eine Idylle. Besonders dann, wenn die oberen Stockwerke der Wohnblocks in der Abenddämmerung leuchten. Von den Balkonen und Dächern aus hat man zu dieser Zeit einen schönen Ausblick auf Teheran, dessen Panorama für einen Moment unvermutet frei und offen wirkt.

In der realen Stadt hätte kein Regisseur diese Abendstimmung einfangen können. Die iranische Zensur verbietet es, kräftige Farben auf der Leinwand zu zeigen. Allerdings ist das malerische Orangerot, in das Ali Soozandeh die Hauptstadt taucht, nur deren eine Seite. Ihr stehen dunkle Grautöne gegenüber. Die nächtlichen Straßenszenen sind in ihnen gehalten, aber auch einige Interieurs. Es ist ein beklemmendes Grau, aus dem gelegentlich ein kräftiger Akzent hervorsticht, das Rot eines Kopftuches oder das einer Polizeisirene.

Die Farbdramaturgie ist freilich noch das geringste Tabu, das der Animationsfilm des Exil-Iraners verletzt. Er zeichnet ein gleißendes Bild der sexuellen Doppelmoral, die im Iran herrscht. Illegale Pros­titution floriert, in Nachtclubs herrscht rauschhafte Freizügigkeit, Richter erpressen rechtlose Frauen zum Konkubinat, und mit der Fernbedienung lässt sich mühelos von einer religiösen Sendung zu einem Striptease-Kanal schalten. Soozandehs Inszenierung ist rechtschaffen paranoid. Polizeigewalt und Demagogie sind allgegenwärtig, beinahe jeder ist korrupt oder erpressbar. Einmal führt eine Taxifahrt an nächtlichen Hinrichtungen vorbei, um die sich eine euphorische Menge drängt. Der Regisseur, der auch sein eigener Art Director ist, schafft eine Szenerie voller Fallhöhen, in die sich zuweilen Situationskomik schleicht.

»Teheran Tabu« entfaltet einen Katalog des sexuellen Unglücks und der Unterdrückung. Pari verdient den Lebensunterhalt für sich und ihren fünfjährigen Sohn Elias als Prostituierte und will vor Gericht endlich ihre Scheidungspapiere erhalten. Ihre neue Nachbarin Sara ist schwanger, möchte aber aus ihrer Ehe ausbrechen. Die junge Donya und Babak, ihr Geliebter einer Nacht, müssen einen Gynäkologen finden, der Donyas Jungfräulichkeit rechtzeitig vor ihrer Heirat wiederherstellt. Das Roto­skopie-Verfahren, bei dem die Darsteller vor einem grünen Hintergrund gefilmt und später nachgezeichnet werden, dient auch dem Schutz der iranischstämmigen Schauspieler. Ein Animationsfilm für Erwachsene: Die Technik schafft nicht nur Freiräume der Fantasie, sondern auch der Wirklichkeitsdarstellung. Die Poesie, jene traditionelle Wurzel des iranischen ­Kinos, kommt durch den stummen, aufmerksamen Beobachter Elias ins Spiel.

Das Drehbuch verknüpft die Erzählstränge immer enger miteinander. Jedes dieser Leben hat eine zweite, geheime Seite, die sich spät offenbart. Diese Doppeldeutigkeit bewahrt die Figuren davor, reine Fallbeispiele zu sein. Soozandeh ist ein zugeneigter Erzähler, er schafft Fluchtpunkte. Einige scheinen, dank weiblicher Solidarität, erreichbar. Aber sein Teheran ist kein Ort, an dem die Figuren eine Zukunft hätten. Nicht von ungefähr zeigt der Film so oft Flugzeuge, die über dem Panorama der Stadt aufsteigen.

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