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Chris Kraus inszeniert die Holocaustforschung als Screwballkomödie, mit Lars Eidinger in der Rolle des vorbelasteten, steifen Forschers und Adèle Haenel als unbedarfter, aber ebenfalls vorbelasteter Praktikantin
»Ich bin Holocaustforscher, ich verdiene mein Geld damit, negativ zu sein«, kontert der Mann mit dem eigenwilligen Namen Totila Blumen, als die junge Praktikantin aus Frankreich ihm seine schlechte Laune vorwirft. Chris Kraus wagt hier das schier Unmögliche, eine Screwballkomödie über Menschen, die sich beruflich mit dem Mord an sechs Millionen Juden beschäftigen. Mit seiner Mission, Licht und Luft an ein stickiges Thema zu bringen, reiht er sich in die Riege der deutschen Filmemacher ein, die in den letzten Jahren nicht mehr ganz so zwanghaft, verkrampft und gewissenhaft buchhalterisch ans große deutsche Trauma herangehen. Und siehe da, es stellt sich heraus, dass man mit einer guten Portion Respektlosigkeit und Humor sehr viel weiter kommt als mit öffentlich-rechtlich artigem Bewältigungswahn. Man kann die deutsche Schuld tatsächlich mit dem Leben versöhnen, ohne sie zu beschönigen oder zu leugnen. Und manchmal regt gerade das Lachen das Denken an.
Knabbereien auf dem Konferenztisch, an dem ein Auschwitz-Kongress geplant wird? Toto (Lars Eidinger) findet, das verbiete der Anstand. An Sex denken? Darüber reden? Das geht ja gar nicht! Immer wieder provoziert diese junge Französin (Adèle Haenel) den Deutschen, treibt Risse in seinen Panzer aus verbissenem Verarbeitungs- und Wiedergutmachungsdrang, der vor allem verrät, wie groß der Berg ist, den er persönlich zu bewältigen hat. Hinter dem großen Ganzen des Holocaust lauert die intime Schuld, die in seiner eigenen Familiengeschichte schwelt. Irgendwann wird klar, dass Totos deutscher Großvater mit Zazies jüdischer Großmutter in einer Schulklasse saß, dass er dafür gesorgt hat, dass sie und alle anderen Juden der Klasse deportiert wurden. Und die Französin Zazie hat sich ihre Praktikantenstelle ganz bewusst gesucht, weil sie wissen wollte, was sich die Enkel zu sagen haben. Ähnlich wie in Doris Metz' Dokumentation »Schattenväter« über Matthias Brandt und Pierre Boom, die Söhne des Kanzlers Willi Brandt und des DDR-Spions Günter Guillaume, zeigt sich auch hier, wie die Verstrickungen in den späteren Generationen weiterwirken. Auch Chris Kraus spürt mit seinem Film der eigenen unbequemen Familiengeschichte nach, stellvertretend für viele, die es lieber nicht so genau wissen wollen.
Dass die Gratwanderung zwischen Bestürzung und Befreiung in »Die Blumen von gestern« so gut funktioniert, hat sehr viel damit zu tun, dass Chris Kraus generell sehr viel Zeit und Gespür in seine Schauspieler investiert, dass er genau sieht, wenn etwas stimmt, und keine Ruhe gibt, bevor es so weit ist. Lars Eidinger, der in Filmen wie »Was bleibt« oder »Alle anderen« oft sehr viel leisere und verhaltenere Töne als im Theater anschlägt, poltert und prustet hier mal genauso extrovertiert, impulsiv und ausgreifend um sich wie sonst eher auf der Bühne. Und in jeder seiner verzweifelt hilflosen Gesten und Sätze schwingt so viel mehr mit von der Last der deutschen Geschichte als bei all denen, die sie nur filmisch sortieren, verwalten und abheften.