Cannes: Ovation für den King

»Elvis« (2022). © Warner Bros. Pictures

Schon die Premierenparty machte aus Baz Luhrmans Biopic »Elvis« eine sofortige Cannes-Legende: Zum Höhepunkt des Abends schwärmte ein Ballett von Drohnen aufs Meer aus, um zu den Klängen seiner schönsten Lieder den Namen »Elvis« in den Nachthimmel zu schreiben. Eine solche Party, auf der die Magie des Kinos sich aus den Sälen heraus bis an den Strand der Croisette ergießt, hatte man in Cannes seit mindestens drei Jahren vermisst. Luhrman aber war genau der Richtige dafür, bei dem am Samstag endenden Festival solchen Zauber zu veranlassen, hat der Regisseur von Filmen wie »Romeo and Juliet«, »Moulin Rouge« und »The Great Gatsby« doch immer wieder beweisen, dass Pop, Kitsch und große Gefühle nie aus der Mode kommen, man muss sie nur extravagant genug anlegen.

Nun hat Luhrman, der zuletzt 2013 mit »The Great Gatsby« in Cannes war, in seinem zweieinhalbstündiges Biopic nichts wirklich Neues zur Biografie von Elvis Presley beizutragen. Vielmehr betrachtet er die Lebensgeschichte des »King« vom rasanten Aufstieg in den späten 50er Jahren bis zum verfrühten, tragischen Tod 1977 mit erst 42 Jahren so sehr als Allgemeingut, dass er sie nun als Moritat, als Zirkusnummer erzählt. Und »Colonel« Tom Parker, Elvis' legendär eigenmächtiger Manager (unter Schichten von Silikon gespielt von Tom Hanks) liefert dazu die gewissermaßen faustische Erzählstimme: als die Macht, die stets das Böse, sprich den eigenen Gewinn, will und dabei aber das Gute, sprich Elvis' wunderbare musikalische Leistungen, schafft.

Mit einem packenden Soundtrack, der ausgesuchte Elvis-Titel als dramatische Stationen eines Lebens einsetzt, und einem Bilderreigen, der mit Splitscreens, Drohnenshots und viel Slow-Motion kaum ein Mittel der Bildgestaltung auslässt, bietet »Elvis« wenig Inhalt, aber viel, viel perfekt geschnittene Oberfläche. Eine opulente, aber mitreißende Tour weniger durch die Zeitgeschichte als durch das melodramatische Auf und Ab der Gefühlskurven. Die heute problematischen Fragen über kulturelle Aneignung schwarzer Musik durch die weiße Musikindustrie oder die Rolle der Frauen und Drogen streift Luhrman nur kurz oder gar nicht.

Sein Film-Elvis steht gewissermaßen auch in den Szenen auf der Bühne, die hinter den Kulissen spielen. Austin Butler – die große Entdeckung dieses Films – in der Rolle des wohl meist imitierten Idols aller Zeiten gelingt aber das Kunststück, seine perfekte Nachahmung der einschlägigen Gesten und Bewegungen, vom Hüftschwung bis zum Lächeln, nicht als Parodie, sondern als innig-intensive Hommage erscheinen zu lassen. Das Publikum in Cannes dankte es ihm mit einer zwölfminütigen stehenden Ovation, der bis dato längsten dieses Festivaljahrgangs.

Eine solche echte Begeisterung gab es im eigentlichen Wettbewerb – »Elvis« wurde außer Konkurrenz gezeigt – dieser 75. Ausgabe des Filmfestivals von Cannes zu selten. All die großen Namen, die noch bei Programmankündigung die Filmfans so in Aufregung versetzt hatten, lieferten wenn auch keine Reinfälle, so doch gepflegte Enttäuschungen ab. David Cronenbergs Rückkehr zum Genre des Bodyhorror mit »Crimes of the Future« erwies sich als blutleer, Ruben Östlunds Reichen-Satire »Triangle of Sadness« als eher billig und das von den Dardenne-Brüdern mit Handkamera verfolgte Migranten-Schicksal »Tori und Lokita« als lediglich mehr vom Gleichen. Die Franzosen Arnaud Desplechin (»Bruder und Schwester«), Valeria Bruni-Tedeschi (»Les Amandiers«) und Claire Denis (»Stars at Noon«) schwelgten in selbstbezüglichem Gefühlskino, bei dem man soziale Relevanz vermisste.

Der Koreaner Park Chan-wook wärmte mit »Decision to Leave« das Film-noir-Rezept von Ermittler und Femme fatale wieder auf, nur um sich in zu viel Stilistik zu verlieren. Und dem in Dänemark lebenden Iraner Ali Abbasi verrutscht in seiner Frauenmördergeschichte »Holy Spider« so manches Mal auf unglückliche Weise die Perspektive von Opfern und Täter. Dennoch gehören sowohl Abbasi als auch Park Chan-wook zu den Favoriten für die Palmenvergabe am Samstag. Chancen kann sich aber auch der rumänische Regisseur Cristian Mungiu ausrechnen, dessen »R.M.N.« meisterhaft von Ressentiments, kulturellen und ökonomischen Verknotungen 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erzählt. Mit »Close«, einem stillen Drama um die tragisch endende Freundschaft zweier 13-Jähriger, lieferte der junge belgische Regisseur Lukas Dhont einen späten Kritikerliebling.

Verblüffend und aufregend an dieser 75. Ausgabe des Festivals waren letztlich aber nicht die Filme, sondern die Tatsache, dass mit Gedränge vor und in den Kinos, mit Partys und Interviews drumherum und vielen Schaulustigen am Rand dem Festival die Rückkehr zum Zustand vor der Pandemie gelang. Die viel beschworenen Krisen und Umbrüche der letzten Jahre, pandemie- oder anderweitig bedingt, sie alle wurden gleichsam für diese Ausgabe verdrängt oder stumm gehalten. Was sich wirklich verändert hat im Film- und Festivalgeschäft, wird sich erst nächstes Jahr deutlicher abzeichnen.

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