Halbzeit der Frauen-Berlinale

»Elisa y Marcela« (2019). © Netflix

Eine Berlinale der Frauen nannte Dieter Kosslik seine letzten Filmfestspiele, und das bezog sich nicht nur auf die Retrospektive, die sich ja auf Frauenfilme aus den Jahren 1968 – 99 konzentriert. Auch im Wettbewerb treten erstmalig 7 Regisseurinnen im Kampf um den goldenen Bären an, das ist weit über dem Durchschnitt dessen, was wir an den Kinokassen erleben. 5 Filme sind bereits gelaufen, Angela Schanelecs neues Werk »Ich war zuhause, aber...« und Isabel Coixets Drama »Elisa und Marcela« über die erste illegale Ehe zwischen zwei Frauen im Spanien des frühen 20. Jahrhunderts, kommen noch. Versucht man Gemeinsamkeiten zwischen diesen Filmen zu finden, die auf eine wie auch immer geartete weibliche Ästhetik schließen lassen, wird man enttäuscht.

Nichtmal alle Hauptfiguren sind weiblich, denn Agnieszka Holland hat sich den britischen Journalisten Gareth Jones zu Hauptfigur erwählt, der einst Hitler interviewte und den jungen George Orwell zu »Animal Farm« inspirierte. Weil er die Wahrheit über die Hungersnot in Stalins Russland/Ukraine berichtete, wurde er noch vor seinem 30. Geburtstag erschossen. Marie Kreutzer zeigt in »Der Boden unter den Füßen« zwar zwei Schwestern, die beide Schwierigkeiten haben, ihren Platz in der Welt zu finden, die eine in einer männliche dominierten Geschäftswelt, die andere beeinträchtigt durch paranoide Schizophrenie. Doch auch hier fehlt das, was man einen typisch weiblichen Blick nennen könnte. Und die mazedonische Regisseurin Teona Strugar Mitevska erzählt von einer Frau, die bei einem Wettbewerb gegen religiöse Regeln verstößt und ein Kreuz aus einem Fluß fischt und dabei alle Männer besiegt. Die Folge ist ein kleiner gesellschaftlicher Tumult.

Gemeinsam ist diesen Filmen aber dann doch etwas. Sie sind alle äußerst gelungen. Ebenso wie das Kinodebüt »Systemsprenger« von Mora Fingscheidt und mit Abstrichen auch der Eröffnungsfilm »The Kindness of Strangers« von Lone Scherfig. All diesen Filmen ist eine Haltung gemein, die das Private als politisch relevant begreift, und fordern eine gerechte, ja, vielleicht auch gütige Welt. Natürlich ist diese Haltung nicht Filmemacherinnen alleine vorbehalten, aber hier wird deutlich, dass das engagierte Kino inzwischen ganz selbstverständlich auch weiblich ist. Alle Filme von Regisseurinnen im diesjährigen Wettbewerb haben eine Botschaft, eine klare Haltung und wollen mehr, als einfach nur eine Geschichte zu erzählen. Sie setzen sich ein für Gleichheit, nicht nur der Geschlechter, sondern auch der Klassen und der politischen Positionen. Sie suchen die Wahrheit, erinnern an vergessene Helden wie Gareth Jones und zeigen wie Marie Kreutzer, dass Wahnsinn kein geschlossenes System ist, sondern in unterschiedlicher Heftigkeit jeden von uns betrifft. Diese Klarheit ist ihnen hoch anzurechnen in einer Zeit, wo der anspruchsvolle Film sich immer mehr ins Vage, Uneindeutige zurückzieht. Und wir dürfen gespannt sein, wie die Jury, der ja mit Juliette Binoche auch eine Frau vorsitzt, diese Filme bewerten wird.

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