Retrospektive: »Le tunnel« (Der Tunnel, F/D 1933)

»Le tunnel« (1933). © Les Films du Panthéon

»Wir bauen einen Tunnel unter dem Atlantik zwischen Amerika und Europa, c'est tout!«, sagt Ingenieur Mac Allan, und sehr viel mehr ist zur Handlung von Kurt Bernhardts »Le tunnel« von 1933 auch nicht zu sagen. Beziehungsweise viel mehr: Denn bei Filmen wie »Le tunnel« oder auch »Seconds« erhebt sich tatsächlich die Frage nach Abgrenzungen des Science-Fiction-Genres. Reicht es, im Film etwas zu zeigen, was es zur Zeit der Produktion in der Wirklichkeit noch nicht gibt? Wäre dann, in Hinsicht auf die technische Utopie im »Tunnel«, jeder Film Science Fiction, in der ein Erfinder was Neues erfindet? Wäre dann, in Hinsicht auf den kapitalistischen Komplott in »Seconds«, jeder Film Science Fiction, in dem der Einzelne in die Fänge einer Verschwörung gerät? Beziehungsweise andersherum: Wie stark muss das fantastische Element sein, um einen Film zur Science Fiction zu machen?

In »Le tunnel« geht es um die technische Großtat, die eigentlich noch nicht möglich ist, die aber der Film möglich macht. Und vielleicht wurde diese Großtat in der Wirklichkeit nur deshalb nicht realisiert, weil, nun ja, eine andere Technik eben leichter durchführbar war: Das Flugzeug... Die Konkurrenz durch die Luftfahrt wird in diesem Film schnell abgebügelt: Zugverkehr unterm Atlantik ist viel schneller und kann mehr Menschen transportieren, Punkt. Die Atlantiküberquerung: Das ist das große Ziel, um die Menschheit zu verbinden. Charles Lindbergh 1927 schafft das mit dem Flugzeug, aber Massenverkehr ist da noch nicht in Sicht. Das inspiriert die Filmemacher: Beispielsweise auch zu »F. P. 1 antwortet nicht« von 1932, in dem Hans Albers eine riesige Flugzeug-Plattform im Atlantik baut, um die weite Strecke zu verkürzen – ebenso Abenteuer, ebenso (leichte) Science Fiction wie »Le tunnel«, ebenso von der Wirklichkeit alsbald überholt.

»Le tunnel« ist eine deutsch-französische Co-Produktion, gedreht in den Bavaria-Studios in einer deutschen und in einer französischen Fassung, mit demselben Team, aber anderen Schauspielern; Gustaf Gründgens ist der einzige, der in beiden Versionen mitspielt. Die Retro zeigte die französische Fassung, mit Jean Gabin in der Hauptrolle des Mac Allan, vielleicht, weil dieser amerikanische Name in der französischen Aussprache sich mehr wie »Magellan« anhört... Vielleicht auch, weil, laut Vorspann, die dokumentarischen Materialien des Tunnelbaus aus Frankreich kamen. Bernhardt baut dieses Material geschickt ein, wir erleben tatsächlich die Arbeit am Tunnel, laut Film viele hundert Kilometer lang, viele tausend Meter unter dem Meeresboden; und er schneidet geschickt die Atelier-Szenen mit den Schauspielern ein, so dass man eigentlich keinen Unterschied merkt. Die Dokumentaranteile verstärken den Eindruck des Tatsächlichen und schwächen den Science-Fiction-Aspekt noch mehr ab.

Gabin spielt seinen Ingenieur als optimistischen Draufgänger, dem die Arbeit alles ist; ja, der Chef schuftet selbst unten mit bei der schweißtreibenden Arbeit! Gründgens gibt den windigen Geldgeber, der je nach Risiko auch gegen das von ihm selbst finanzierte Tunnel-Projekt spekuliert. Dafür wird er alsbald bestraft, als Edelmann richtet er sich selbst – wie überhaupt auf schon interessante Art jeder Konflikt blitzschnell aus dem Weg geräumt wird, jede Schwierigkeit wird sofort überwunden. Wochenschau (lustigerweise mit penetrantem »Allo allo!» eingeleitet) treibt den Film voran, 100 km, 200km, 500 km sind schnell geschafft, und dass sich Mac Allans Frau vernachlässigt fühlt, ist auch kein Problem. Ihr Bekannter, den sie mal leicht anflirtet, weiß: Eine Viertelstunde mit Mac Allan ist viel besser als sechs Jahre mit mir. Damit ist das auch gesagt, und der Arbeiterstreik ist dank Mac Allans einnehmender Führungspersönlichkeit auch bald abgebügelt. Nur dieser schlimme Sabotageakt – naja, sehr spannend ist das auch nicht gemacht, auch wenn die Katastrophe wirklich katastrophal ist.

Es ist eben alles bemerkenswert unspannend – und das ist, glaube ich, auch so gemeint. Denn getragen wird der Film von einem alles bestimmenden Fortschrittsoptimismus, von einer Gewissheit der technischen Machbarkeit, die auch das so wunderbar naive »Himmelsschiff« (Himmelskibet) von 1918 auszeichnete. Nur, dass da die Reise zum Mars ging, und das war nun wirkliche Science Fiction...

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