Retrospektive: »Himmelskibet« (Das Himmelsschiff, DK 1918)

»Himmelskibet« (1918). © Danish Film Institute

Der früheste Film, der in der Science Fiction-Retro läuft. Gedreht vor 100 Jahren, mitten im Weltkrieg, im beschaulichen Dänemark. Ein pazifistisches Manifest, eine Utopie vom Weltfrieden mit ewigem Sommer und schönen, weißgewandeten Damen: »Himmelskibet« / »Das Himmelsschiff«, dänischer Spielfilm von Holger-Madsen (der sich den Bindestrich aus künstlerischen Gründen zum Namen dazuerfunden hat...)

Es geht um einen Marsflug. Klar: Damals kamen die ersten Flieger am Himmel auf, man hat Expeditionen an Nord- und Südpol unternommen, die ganze Welt war entdeckt und vermessen und großteils kolonialisiert, da bleibt noch ein Ziel: Das Weltall. Das sagt sich auch Avanti Planetaros, seines Zeichens Abenteurer-Schiffskapitän, der flugs zum Piloten umschult und seinen Freund, den Ingenieur Dr. Krafft, beauftragt, ein Sternenschiff zu bauen. Ein Handschlag besiegelt den Beschluss: Es geht zum Mars. Zwei Jahre später ist das Fluggerät fertig und alle technischen Schwierigkeiten beseitigt, wahrscheinlich gab es gar keine, denn der Fortschritt ist nicht aufzuhalten: Alle sind eifrig bei der Sache, und schnell sind auch todesmutige junge Männer gefunden, die mitfliegen. Nur einer zweifelt, der böse Professor Dubius, der Avanti mit Hohn und Spott überschüttet und ihm ewigen Hass schwört, als Avanti mit seiner Mannschaft doch aufbricht zu den Sternen. In einer Flugmaschine in Zeppelinform, mit großen Propellern hintendran: Die treue Excelsior.

Sechs Monate später – die Zeit vergeht wie im Flug bzw. wie im Filmschnitt, man sieht gar nicht viele Bilder vom Weltall, ab und an flitzt das Raumschiff an Sternen vorbei –, sechs Monate später jedenfalls gibt’s Lagerkoller und Meutereigedanken, doch glücklicherweise haben die Marsbewohner das Himmelsschiff schon gesichtet und mit einem Traktorstrahl beschleunigt. Alles ist so schön hier! Weißgewandete Priester, schöne Frauen, ein herrlicher Speisegarten... Igitt, gibt es hier nur Obst? Schon zückt Avanti die Pistole, und das erste Mal seit 1000 Jahren schallt ein Schuss über den Mars. Die überlegenen Europäer zeigen den Eingeborenen, wie Zivilisation geht: Damit schießt Avanti den Vogel ab, ein Schwan fällt vom Himmel, großer Aufruhr: Hier sind alle vegan! Sagenhaft, wie Holger-Madsen in dieser kleinen Szene den eurozentrischen Kolonialismus aufs Korn nimmt, nicht satirisch, sondern hochdramatisch, denn die Erdlinge sollen bestraft werden – und zweite Überraschung: Keine Strafe wie auf der Erde. Sondern durch Verinnerlichung müssen sich die Übeltäter Gedanken über ihr Unrecht machen, ein toter Marsianer erwacht wieder zum Leben, und Avanti und Co. sind geläutert und transzendiert zum ewigen intergalaktischen Frieden. Und zur Liebe, die alles durchdringt – Avanti träumt unter dem Baum der Sehnsucht von der Tochter des Hohepriesters, im Wald der Liebe beschließen sie ihre ewige Partnerschaft... Paradies pur, nur auf der Erde herrschen Gier und Neid und Hass und Begierde. Die auzutreiben hat sich der Film auf die Fahnen geschrieben.

Herrlich naiv, aber Naivität ist eben manchmal das einzige, was hilft.

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