Retrospektive: »Seconds« (USA 1966)

»Der Mann, der zweimal lebte« (1966). © Courtesy of Park Circus / Paramount

Ein großes Manko dieser Retro ist ja, dass zwar – weil es ja um Dystopien geht – selbstverständlich Michael Andersons »1984« gezeigt wird, nicht aber Terry Gilliams »Brazil«, ein Film, der viel mehr Orwell ist als die offizielle Romanverfilmung; und das gerade wegen seiner starken satirischen Tendenzen. Immerhin wird dem kleinen »Brazil«-Nebenaspekt der Verjüngung durch Schönheitsoperationen in der Retro Rechnung getragen, und zwar in John Frankenheimers »Seconds«, auf deutsch: »Der Mann, der zweimal lebte«.

Ein Film, der die Frage aufwirft, was das Science Fiction-Genre eigentlich ausmacht: Wir haben einen älteren Banker, Arthur Hamilton, der einen Anruf bekommt von einem alten Freund. Ein Freund, der schon seit längerem tot ist. Offiziell zumindest. In Wirklichkeit hat er sich von einem ominösen Unternehmen mittels plastischer Chirurgie ein völlig neues Aussehen und ein völlig neues Leben geben lassen; und diese Art der Wiedergeburt wird für Arthur so verlockend, dass er diese Prozedur ebenfalls durchmacht. Und wieder aufersteht als Tony Wilson, in Gestalt von Rock Hudson. Und nicht mehr als Banker, sondern als Maler, in einem schönen Haus am Strand. 

Da ist Thriller drin, Drama, Paranoia-Allegorie, Gesellschaftskritik; Science Fiction? Eigentlich nur in dem Aspekt, dass damals, 1966, die Kunst der plastischen Chirurgie so weit gediehen ist, neue Menschen aus Leichen zu erschaffen, aber weniger im frankensteinschen Sinn denn in der Art der ersten Herztransplantation. Klandestin verschafft die Organisation denen, die es sich leisten können, zweite Chancen – einen Weg zurück gibt es nicht. Und dass die Fehlschlagquote hoch ist, wird verschwiegen. Man kann halt doch nicht aus seiner Haut, auch wenn es eine neue Haut ist. Und man wird halt doch angeleitet, auch im neuen Leben, in dem der tiefste Traum wahr wird. Malerei, eine neue Liebe, und auch bacchantische Genüsse bei einem freizügigen Gegenkultur-Weinfestival...

John Frankenheimer inszeniert immer ganz nah an der Hauptfigur, ganz geradlinig folgt er ihrem Weg, und Rock Hudson schafft es, mit seinem ausdruckslosen Gesicht den ganzen inneren Aufruhr bloßzulegen: Ein falsches Leben als zweites falsches Leben, in dem er nie wirklich ankommt. Um schließlich zu erkennen, dass er auch nie wieder rauskommt. Weil sich die Maschinerie der Organisation von sich selbst ernährt, irgendwann müssen die Kunden neue Kunden herbeischaffen, man muss schließlich auch Geld verdienen...

Ein schöner Nebenaspekt ist die Malerei, von der Arthur immer geträumt hat, die er als Tony aber dann auch nicht verwirklichen kann. Wie damals, in »Monty Python's Flying Circus«, wenn Michael Palin in der Berufsberatung vom Bankangestellten unbedingt zum Löwenbändiger umschulen will, aber von John Cleese freundlich darauf hingewiesen wird, dass alle Tests darauf hindeuten, dass der ideale Beruf eben der des Bankangestellten sei...

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