Jahrgang '45

»Jahrgang 45« (1966). »Jahrgang 45« (1966)

Der Jahrgang 1945 war den Funktionären der Partei offenbar unheimlich. Diese Menschen wurden nun, Mitte der 1960er, erwachsen – und sie waren ganz offensichtlich eine neue Generation, nämlich die, die in der DDR, im real existierenden Sozialismus aufgewachsen ist. Die nichts anderes kannte. Anders als die alten Kämpen, die in ihrem kommunistischen Kampf unter der NS-Herrschaft litten und den antifaschistischen Gründungsmythos der DDR mit Leben füllten. Anders als die mittlere Generation, aufgewachsen in der Nazizeit, aber umgeschult zum Aufbau der DDR. Diese vorhergehenden Generationen: Die konnte man erreichen, da wusste man, wie man sie packen musste, mit Geschichten über die Größe der DDR, über die Überlegenheit des Antifaschismus, über den täglichen Kampf, um nicht vom Klassenfeind überrannt zu werden. Der Jahrgang 1945 aber: Die kannten ja den Klassenfeind gar nicht.

»Jahrgang 45«, so programmatisch heißt Jürgen Böttchers einziger Spielfilm. Böttcher, ein etablierter Dokumentarfilmer, blickt auf die Jugend der Anfang-20-Jährigen, auf ihr Leben in Berlin, auf ihren Alltag. Dafür geht er raus aus dem Studio, auf die Straße, dreht mit Laien. Es geschieht nicht viel; und das war ganz klar zuwenig für die Herren der Partei.

Wir begleiten Alfred, genannt Al, und Lisa, genannt Li. Ihre junge Ehe erfüllt beide nicht; vor allem Al fühlt sich unbehaglich, eigentlich ist er noch so jung, irgendwas fehlt ihm im Leben, er weiß nicht zu sagen, was. Wahrscheinlich die Freiheit, könnte man denken, wenn man so ansieht, wie er vor sich hin lebt in diesen paar Urlaubstagen, die er sich genommen hat. Denn da ist der Termin vor Gericht, er hat die Scheidung eingereicht. In Einverständnis mit Li – beide können einfach nichts miteinander anfangen.

Al hängt mit seinen Kumpels rum, Motorradfahrer, Beatmusikfans. Die Arbeit in der Autowerkstatt macht ihm Spaß, aus Langeweile will er ihr sogar in seinem Urlaub nachgehen. Er ist ein Slacker, ein Rumhänger, der aber keinesfalls irgendwie rebellisch ist, dem es keinesfalls irgendwie stinkt: Vielmehr hat er ein persönliches Problem mit dem Erwachsenwerden. Wenn ein Freund ihnen den Rohbau seiner neuen Wohnung in einer Plattenbau-Baustelle zeigt, hier das Sofa, da kommt die Küche hin, das künftige Glück einer Familie – dann steht Al irgendwie abseits.

Mit seiner Mutter kommt kaum ein Gespräch zustande; sein Opa ist auch kaum zur Kommunikation über die Generationen hinweg fähig. Nur mit dem alten Nachbarn Mogul versteht er sich gut, hier wird der Erfahrungsschatz des alten Kämpen übertragen – auch wenn der hauptsächlich aus Erinnerungen an die Jugend, ans Forellenfischen besteht.

Der Film ging der Hauptverwaltung Film gehörig gegen den Strich. Die Stellungnahme ist in »Verbotene Utopie«, dem Begleitband zur DEFA-Verbotsfilm-Retro im Zeughauskino im Dezember, abgedruckt. Ekkehard Knörer blickt darin in einem Essay auf die filmgeschichtliche, auf die ästhetischen Einflüsse und Eigenheiten von Böttchers Film: »Der Filmfunktionar Hermann-Ernst Schauer sprach bei der Rohschnitt vorfuhrung von der »Heroisierung des Abseitigen«, obwohl nur von der Nicht-Heroisierung von Leben und Werktätigkeit die Rede sein kann«, so Knörer.

»Die Geschichte erscheint in der vorliegenden Fassung gesellschaftlich nicht ausreichend determiniert und bleibt deutlich in einer kontemplativen Haltung gegenüber dem aufgegriffenen Problem stecken. Kontemplative Haltung aber widerspricht der Methode des Sozialistischen Realismus«, heißt es in einer Stellungnahme im Lauf des Verbotsverfahrens zum Film; Lisa etwa war »als Vorbild und Leitfigur für Al und den Zuschauer beabsichtigt«, und »die vom Buch her beabsichtigte kritische Sicht auf Al ist im Film völlig verloren gegangen.« Ein eindeutig parteilicherer, sozialistischerer Standpunkt hätte eingenommen werden sollen. Tja: Dieser schöne Blick auf die Wirklichkeit des Alltags: Er war nicht das, was sich die Partei unter der Wirklichkeit des Alltags vorstellte.

Glücklicherweise konnte der Film 1990 rekonstruiert werden, auch, weil die Schnittmeisterin einige Szenen, die 1966 herausgeschnitten werden sollten, versteckt hatte. 

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