Großdeutschland kaputt

»Die Russen kommen« (1968). © DEFA-Stiftung/Jürgen Brauer

Mit dem Antifaschismus ist in der DDR nicht zu spaßen. Und antifaschistische Filme mussten, ganz klar, einen antifaschistischen Helden haben. Damit kann Heiner Carows »Die Russen kommen« von 1968 nicht dienen. Der Film wurde verboten; nicht im direkten Zuge des 11. Plenums – der Film läuft nicht in der Retrospektive, sondern als neu digital restaurierte Fassung als Teil der Berlinale Classics; aber der restriktive Geist seit Ende 1965 erwischte Carow, der mit diesem Film einen der wenigen großen, anspruchsvollen Filme hinlegen wollte, die man sich bei der DEFA in den »Jahren danach« traute.

1987 schon wurde der Film rehabilitiert und rekonstruiert, kam in die Kinos der DDR. Allerdings wegen schlechter Ausgangsmaterialien in schlechter Bildqualität. Das Archivmaterial wurde nun digital aufbereitet: Und der Film sieht gut aus, trotz oder wegen all seiner Schrammen und Bildfehler. Die sind, so der erläuternde Vorspann, Zeugen seiner Verbotsgeschichte.

Kein antifaschistischer Held. Nur der Lateinlehrer des 16jährigen Günter ist antifaschistisch eingestellt, nichtsdestotrotz unverbesserlicher Nationalist. Stolz auf sein Eisernes Kreuz aus dem 1. Weltkrieg, erhalten fürs Vaterland, nicht für eine bestimmte Person, und kein Kreuz mit einem anderen Kreuz drauf. Dass die Russen im Anmarsch sind, oben bei Stralsund: Das ist für ihn der Untergang des Abendlandes. Er weiß, welchen Ausweg er zu wählen hat. Als Vorbild kann er nicht taugen. Sowenig wie Günter. Der glaubt glühend an den Endsieg, noch im März und April '45. In einer langen Sequenz erleben wir Kinozuschauer, wie sie von Veit Harlans Propagandafilm »Kolberg« gefangen werden – ein Film, der wahrhaft zu überwältigen weiß und seine Durchhaltebotschaft überhaupt nicht platt rüberbringt, sondern eingebettet in ein großes historisches Kriegsdrama. Und wie gebannt die Zuschauer sind, Günter insbesondere – so sehr, dass er die zarte Möglichkeit zur Romanze alsbald nicht mehr bemerkt. Volkssturm lautet die Parole. Der Russe muss gestoppt werden von den Panzerfäusten. In den Wehrmachtsberichten dauernd Heldenmeldungen. Doch hier schiebt sich eine zweite Ebene in Carows Film, die Fantasie, der Traum, die Halluzination: Eine großartige Traumsequenz auf dem Dachboden des Postens. Danach ist Günter allein, die Kameraden geflohen. Und die Russen in ihrem Geländewagen nehmen ihn umstandslos gefangen. Ganz unspektaktulär. Wie der Film überhaupt auf jede Form des Eindrucksvollen verzichtet, des Pathos: Alles geht seinen Gang, als wäre alles ganz normal. Das Überwältigende, das überlässt er Veit Harlan.

»Die Russen kommen« (1968). © DEFA-Stiftung/Jürgen Brauer

Die Russen fahren, hups, auf eine Mine. Günter flieht. Die russischen Panzer kommen. Und wir geraten in Günters verqueren Geist hinein, und wir erkennen den Anfang des Films als das, was er ist: Bilder im Konjunktiv, das Sommerglück mit Gitarre, Freund und Mädchen in der Möglichkeitsform des Irrealis. Ein russischer Zwangsarbeiter ist getötet worden, Günter war dabei. Nun kehrt dessen Geist wieder als Gegenpart zum Ungeist. Er hätte ein Freund sein können. Günter wird zum Stellvertreter des ganzen Volkes, der leugnet, der nichts fassen kann. Der konfrontiert wird mit den Verbrechen der Wehrmacht – 30 Jahre war die DDR dem Wehrmachtsausstellungsschock voraus! – und nicht glauben mag. »Sie lügen alle! Sie sollen aufhören zu lügen! Ich bin kein Mörder!« Was bleibt ist ein Springteufel in seiner Box. Und die Suche nach dem Menschen.

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