In den falschen Kreisen

»Der sanfte Lauf« (1967). Quelle: Deutsche Kinemathek, © Haro Senft

Vor zehn Tagen ist Haro Senft verstorben. Er war einer der Unterzeichner des Oberhausener Manifests, ein Pionier des Neuen Deutschen Films. Aber kein großer Name, irgendwo hinter Kluge, Reitz, Schamoni. »Der sanfte Lauf« ist sein Spielfilmdebüt; der erste Film auch von Bruno Ganz. Der zur Berlinale-Aufführung eine kleine Gedenkrede hielt, die kaum gedenken konnte: Er hat den Film seit der Premiere nicht mehr gesehen. Und damals, in Bremen, saß er neben Peter Zadek, der den Film hasste. Ganz hat ihm nie wieder eine Chance gegeben... An die Dreharbeiten erinnert er sich nur noch an das Hotel in Prag, reiche Westler und Nutten. Interessiert hat ihn damals das Theater mehr.

»Der sanfte Lauf« (1967). Quelle: Deutsche Kinemathek, © Haro Senft

Nun konnte sich Ganz ein Bild machen von seinem ersten Film machen. Und man kann zunächst Zadek verstehen: Der Film macht einem den Einstieg nicht ganz leicht. Ganz' Figur Bernhard Kral ist ein Laffel, unentschlossen, inaktiv, im Abseits. Ein bisschen was hat er von David Hemmings in »Blow Up«, ebenfalls 1966. Nur nicht mit einem Yardbirds-Konzert, sondern mit Tanz in einer Proto-Diskothek, da macht Kral nicht mal beim Klatschen und in die Hocke gehen mit, von Tanzen ganz zu schweigen. Mit Johanna, die er im Trödelladen umschwänzelt hat, weiß er nach dem ersten Kontakt (»Sie gefallen mir!«) nichts anzufangen.

Doch dann dreht der Film auf, dreht auf Satire. Oh, wie werden die Münchner Bonzen gezeichnet! Welchen herrlichen Unsinn sie reden, immer auf die besten Umgangsformen bedacht, und immer mit diversen Floskeln auf den Lippen! Vollkommener Quatsch, herrlich aufbereitet im Film. Johannas Vater ist Bauunternehmer, über ihn gerät Kral in diese Kreise. In die er noch weniger hineingehört wie in die Welt überhaupt. Er hat auch einen Nachbarn, seinen Freund. Der liegt gerne auf dem Sofa und denkt. Nicht, dass dabei was rauskommen würde. Ein Dummschwätzer vor dem Herrn, neben sich an langem Kabel der Türdrücker, damit er sich möglichst nicht bewegen muss, wenn's an der Haustür klingelt. Eine Figur wie aus einer US-TV-Sitcom: Rumsitzen und quasseln. In einer Kneipe macht er mit beim Programm »Jazz und Aphorismen« – Legitimation für unzusammenhängende Gedanken.

»Der sanfte Lauf« (1967). Quelle: Deutsche Kinemathek, © Haro Senft

Die Kraken der Wirtschaft umfangen Kral; der hat große Hoffnungen mit seinen Erfindungen, unter anderem ein Ionentriebwerk. Immerhin sein dimmbarer Lichtschalter soll getestet werden in der Elektrofirma, in der er arbeitet. Weit kann er mit seiner Karriere nicht kommen, eine Bewährungsstrafe steht ihm im Weg. Er hat einen Nazipöbler verprügelt. Rassismus und Deutschtümelei ist aber durchaus in Ordnung in gewissen Kreisen.

Mit Johanne immerhin läuft es. Urlaub in Prag: Da ist er aufgewachsen. Doch auch hier kann er nicht im Leben ankommen. Dafür sieht er jetzt klar. Er durchschaut die Floskeln, die Hohlheit der Bosse. Das Gönnerhafte, Oberflächliche, das Einnehmende und Verschluckende. Wahrscheinlich wird er sich verschlucken lassen von diesem absurden Nonsenssystem. Das geht ganz sanft runter.

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