Frau, Leben, Freiheit

Der Feigenbaum, den ich im Frühjahr pflanzte, ist noch zu jung und klein, um einen Rückschnitt zu brauchen. Aber ein Freund, der viel davon versteht, warnte mich: Irgendwann sei er erforderlich, denn die neue Triebe würden andernfalls den alten Stamm erdrosseln. Dank dieser botanischen Fährnis gewann der Titel von Mohammad Rasoulofs Film plötzlich eine andere Bedeutung für mich.

Bislang hatte mich vorrangig das Adjektiv in „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ beschäftigt. In vielen Kulturen wird ihm eine spirituelle Bedeutung zugeschrieben, zu diesen Zuständigkeit gehören der Lebensbaum, das Feigenblatt, auch der Ast, an dem sich Judas erhängte usw. Jetzt stellte sich die Frage, ob der Titel nicht gleichnishaft auf das Verhältnis des neuernannten Untersuchungsrichters zu seinen Töchtern anspielt. Es verkompliziert sich zusätzlich, als die Zwei einer Freundin Zuflucht gewähren, nachdem sie bei einer Demonstration verletzt wurde. Nun hat der Regisseur erneut mit den drei Darstellerinnen Setareh Maleki, Masha Rostami und Nioushka Akhshi zusammengearbeitet: in seinem Theaterdebüt „Destination: Origin“, das am Freitag im Rahmen des Festivals „Performing Exiles“ der Berliner Festspiele seine Premiere feierte. Im Kern handelt es von der Entstehung des Films und dem biographischen Wendepunkt, den er für die drei jungen Frauen darstellte: Aus Angst vor Repressalien flohen sie, ebenso wie ihr Regisseur, aus dem Iran.

Auch dieser Titel hat durchaus seine botanische Bewandtnis. Im vorletzten Bild sind die Wurzeln eines abgestorbenen Baums in einer Vitrine zu sehen. Jedoch erschöpfen sich Metaphorik und Poesie dieses kurzen, dichten Theaterabends beileibe nicht in diesem Bild. Zunächst (und später weiterhin) wird die Bühne von einem Wald herabhängender Seile dominiert. Einerseits verweist der Debütant auf einen Bestandteil seines neuen Mediums, den Schnürboden. An Nabelschnüre mag man ebenfalls denken. Aber natürlich sind diese Seile auch Fesseln. Wenn die Schauspielerinnen ihnen zu nahe kommen, sind sie Stromschlägen ausgesetzt. Anfangs irren sie durch den Wald; als sie sich jedoch (das Trio wird ergänzt durch eine Berliner Kollegin, Eli Riccardi) zu einer Gruppe vereinigen, ist diese Gefahr gebannt. Bevor sie ein Gesicht und eine Stimme erhalten, führt Rasoulof sie mithin als Körper. Zuerst treten sie als eine einzige Figur auf, ein Augentrug, der rasch aufgelöst wird, als sich herausstellt, dass die Arme zu zwei der Darstellerinnen gehören. Für die sich nun aus dieser Aufspaltung ergebende Choreografie zeichnet Laurie Young verantwortlich; sie ist einfach, eingängig und beziehungsreich. Die Frauen greifen nach Scheinwerferkegeln, die Ballons oder Sterne sein können: ein ernstes Spielen. Die Kostüme und Bühne hält das Szenenbild von Yashi in strenger, schwarzweißer Anmut. Eine Männerstimme aus dem Off (ist es die des Regisseurs?) behauptet sehen zu können, wie die Seele sich vom Körper ablöst.

Bald adressieren die Schauspielerinnen das Publikum in einem Monolog, in dem wiederum eine Figur dreigeteilt zu sein scheint. Sie berichtet von dem Zwiespalt, ob sie 2022 im Theater bleiben oder auf die Straße gehen soll, um an den Demonstrationen gegen das Kopftuchgebot und für die Freiheit teil zu nehmen. Dann hört sie vom Dreh eines Kurzfilms, für das sie vorsprechen soll. Er findet im Geheimen statt, es besteht keine Pflicht, einen Hijab zu tragen. Tatsächlich handelt es sich nicht um einen kurzen, sondern einen langen Film. Es wurde viel gelacht bei der Arbeit an ihm, das verblüfft die Darstellerin(nen) noch heute. Rasoulof erzählt davon nicht aus seiner eigenen Perspektive, sondern nun von der Flucht der drei Darstellerinnen. Ihre Gesichter sind ernst und leuchten. Die legale Ausreise ist nicht möglich, die Route führt bang über die Berge, aus Furcht wird Zuversicht:. „The eyes maybe scared but the feet carry on“ heißt es in der Übersetzung, die über der Bühne eingeblendet werden. Die Seile dienen jetzt auch der Rettung.

Der Parcours der Figur(en) wird mit viel Pathos beschritten, aber nicht ohne Humor. In meiner und den benachbarten Reihen saßen zahlreiche Frauen, die offenbar aus dem Iran stammten und gelegentlich lachten. In den Worten gab es einen Beiklang, der der englischen Übersetzung aus Farsi entging. Die Ankunft der Geflüchteten in Berlin wird durch lange Kamerafahrten durch Straßen beglaubigt. Es war wohl unvermeidlich, dass der Regisseur auf Videoprojektionen zurückgreift, aber er spart sie sich bis fast zum Ende auf. Auch dieses naheliegende Stilmittel ist mehrdeutig, denn in die Ansichten mischen sich, zunächst kaum merklich, Straßenszenen aus Teheran. Gefangene zwischen Vergangenheit und Gegenwart: Die Herkunft ist das Ziel, aber vorerst nur das der Sehnsucht.

In Berlin bilden die jungen Frauen vorläufig eine Wohngemeinschaft, hier kommt die Identität ihrer Mitspielerin ins Spiel und stößt gewitzte, interkulturelle Dialoge über das hiesige Leben an. Die Bühne wird heller, eine Matratzenkaufszene schillert zwischen ulkig und verzweifelt. Für die Vokabel Begriff „Backpfeifengesicht“ scheint es auch auf Farsi ein Äquivalent zu geben! Die Unmöglichkeit, hier eine bezahlbare Wohnung zu finden, wird nicht nur zum zentralen Thema der Gespräche. Jäh wird die vierte Wand durchbrochen, als Eli Riccardi das Publikum inständig bittet, ihren drei Kolleginnen bei der Suche zu helfen. Poesie und Symbolik münden in eine entschiedene Unmittelbarkeit.

Der lange Applaus gebührte der Kunst von Darstellerinnen und Regisseur sowie ihrem Mut. Ich sah die dritte Aufführung am Samstag. Am Vorabend hatte Rasoulof eine Einführung gehalten, in der er nicht umhinkam, von der anderen Aktualität zu sprechen, die durch den Angriff Israels auf den Iran entstanden ist. Seit Tagen ist es unmöglich, die Verwandte und Freunde zu erreichen, die die Geflüchteten dort zurücklassen mussten. Am Samstag musste das nicht explizit erwähnt werden, die neue Wirklichkeit geht allen durch den Sinn. Die Darstellerinnen spielen ohnehin um ihre Existenz: Rasoulof hat sie auch für sein Stück engagiert, um ihnen bei der Beschaffung von Visa zu helfen. „Destination: Origin“ wird zirkulieren, das einstündige Stück ist in Koproduktion mit dem Nationaltheater Mannheim, dem Düsseldorfer Schauspielhaus, dem Theater an der Ruhr und dem Thalia in Hamburg entstanden. Mit welchen neuen Wirklichkeiten wird es dort konfrontiert werden?

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