Fremder, wohin gehst Du?

Treffsicher schnippt der Söldner seine Zigarettenkippen in den vollen Aschenbecher. Keine einzige verfehlt ihr Ziel. Man ahnt, wie viele Stunden dieser Mann allein zugebracht und sich in Geduld und Konzentration geübt hat. Mit wenigen, knappen Gesten skizziert José Giovanni den virilen Stolz des Profis Lino Ventura in »Im Dreck verreckt« (1967): Er verstand sich meisterhaft auf die Kurzschrift des Genrekinos.

Heute Abend läuft der Film auf arte (in der Mediathek leider nur zwei Tage länger), im Rahmen einer Lino-Ventura-Reihe. Seine großen Klassiker sind nicht im Programm, und drei Filme ergeben eigentlich noch keine Reihe. Vielleicht laufen einfach die Lizenzen für »Die Filzlaus« und »Tatort Paris« aus, die beide auf ihre Weise charakteristisch sind für die jeweiligen Karrierephasen. Dennoch kein zwingender Anlass, über den Schauspieler zu schreiben. »Im Dreck verreckt« ist kaum mehr im Fernsehen zu sehen (ich entdeckte ihn noch im Kino, entweder in Bielefeld oder Hannover, unter dem Titel »Wohin gehst Du, Fremder?« gesehen), was eine schöne Gelegenheit ist, an Giovanni zu erinnern. Er ist eine Mischung aus Abenteuerfilm und Politthriller, was bei diesem Autor und Regisseur oft erstaunlich gut zusammenpasst. Vor Jahrzehnten hat Karlheinz Opludtil mal ein schönes Porträt in epd Film veröffentlicht, für das er diese Ausnahmefigur im französischen Kino auch besuchte, wenn ich mich recht erinnere.

Die Professionalität seiner Helden wirkte nie erschlichen, sondern wurde beglaubigt durch Giovannis Biografie. Seine Kriminal- und Abenteuerfilme waren weniger Kolportage, als vielmehr Sittenstudien aus dem Milieu. Er schilderte es - nicht ohne Romantik, aber stets mit Aufrichtigkeit gegenüber der eigenen Erfahrung - als verschworene Gegengesellschaft mit eigenen Regeln. Die klassischen Motive des polar - der Ehrenkodex der Ganoven, die Vertrautheit zwischen Polizist und Verbrecher – waren für ihn erlebnisgessättigte Konventionen.

Ich stand immer in dem Glauben, er stamme aus Korsika, aber laut Wikipedia wurde er in Paris geboren. Kaum zwanzigjährig hatte er in der Resistance gekämpft und nach der Befreiung, unter dem Patronat seines Onkels, eine Verbrecherkarriere begonnen. Er war an Überfällen, Erpressungen und einer blutig ausgehenden Entführungen beteiligt, wurde zum Tode verurteilt, später aber zu Zwangsarbeit begnadigt. Mit seiner letzten Regiearbeit »Mein Vater« (2001), den sein Bewunderer Betrand Tavernier mitproduzierte und der einst im WDR seine Deutschlandpremiere feierte, erfüllte er eine verbliebene, biografische Bringschuld: Erst Jahrzehnte nach dessen Tod erfuhr Giovanni, dass sein Vater ihn vor dem Schafott gerettet hatte, indem er die Opferfamilien zu Gnadengesuchen überredete.

Sein Anwalt ermutigte ihn zum Schreiben. Als er mit 33 Jahren entlassen wurde, setzte ein beispielloser schöpferischer Rausch ein. Innerhalb weniger Monate erschienen in der legendären "Serie noire" bei Gallimard (wo Albert Camus einer seiner Förderer war) die ersten drei von insgesamt 20 Romanen. Die ersten Adaptionen - Claude Sautets »Der Panther wird gehetzt« (1959) und ein Jahr später Jacques Beckers »Das Loch«, der auf Giovannis Fluchtversuch aus der Untersuchungshaft basiert – verschafften ihm ein glänzendes Entree im Kino. Beide waren zunächst Misserfolge, wurden dann Klassiker. Zwar sollte später nur noch ein Regisseur gleichen Rangs (Jean-Pierre Melville mit »Der zweite Atem« (1966) seine Vorlagen verfilmen, aber Giovanni wurde zu einem stilbildenden Stofflieferanten des französischen Actiokinos. 1967 wandte er sich selbst der Regie zu. In »Der Kommissar und sein Lockvogel« bilden Ventura und Marlène Jobert ein ungewöhnliches Gespann. Er kann nicht aus seiner Haut, sie quittiert als entzauberte Idealistin den Dienst. Mit »Endstation Schafott« eröffnet Giovanni 1972 einen Zyklus von justizkritischen Filmen: Die Rehabilitation sollte ein Grundimpuls seines Kinos bleiben. Im Kern ist das eine der schönsten Kinovariationen über Hugos »Die Elenden«, bei der Jean Valjean (Alain Delon) nicht nur einen Gegenspieler (Michel Bouquet), sondern auch einen Förderer (Jean Gabin) hat.

Nebenher schrieb er weiterhin für Genremeister bzw -gesellen wie Jacques Deray, Robert Enrico und Henri Verneuil. Fast immer spielte Ventura die Hauptrolle, und immer waren das redliche bis großartige Filme: »Die großen Schnauzen«, »Die Haut des Anderen« und »Der Clan der Sizilianer«. Bei »Mädchen im Schaufenster«, den Luciano Emmer 1961 inszenierte, wechselten sie anfangs auch einmal die Tonart. In »Die Abenteuerer« (Regie: Enrico) wiederum herrscht eine verspielte Gelassenheit, an die Giovanni, nun als Regisseur, 1983 mit »Der Rammbock« anknüpfte. Meist jedoch entwarf er Szenarien der Auswegslosigkeit.

Insofern ist »Im Dreck verreckt« kein schlechter Titel. Die Erfahrung und Professionalität ist in seinen Geschichten stets auch eine moralische Kategorie. Sie verleiht seinen Helden eine natürliche Autorität. Sie ist überlebenswichtig, denn seine Actionszenen sind Konfrontationen von raffinierter Logistik, argwöhnisch konstruierte Hinterhalte. Zugleich sind es Bewährungsproben, bei denen sich Kaltblütigkeit und Loyalität erweisen. Die skeptischen, ruppigen Außenseiter, die Belmondo, Delon, Gabin und Ventura für ihn spielten, sind auf der Suche nach verlässlicher, authentischer Freundschaft. Nur darin, und ganz selten auch in der Liebe, können sie den eigenen Pessimismus überwinden. So etwas war einmal Mainstream im französischen Kino - und schwappte zu uns herüber. 1977 engagierte ihn das ZDF, um den Pilotfilm der Serie »Der Alte« zu inszenieren. Heute undenkbar, der Mainsteam wie der Kulturtransfer.

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