Ferragosto

Am 15. August begehen die Italiener den Feiertag, der ihnen am liebsten ist. Er markiert einen Wendepunkt des Jahres, an dem die Einheimischen sich in die Sommerfrische verabschieden und die Städte den Touristen überlassen. Schauen Sie sich nur einmal den Anfang von »Verliebt in scharfe Kurven« an, dann sehen Sie, wie menschenleer Rom sein kann.

Seinen Namen verdankt das Datum dem legendären Fest des Kaisers Augustus, der seine Untertanen drei Tage lang die Eroberung Ägyptens feiern ließ. Ein halbes Jahrtausend später legte die katholische Kirche Mariä Himmelfahrt auf den Tag. Der Kaiser interessiert mich an dieser Stelle weniger, der heutige Eintrag entsteht auch aus keiner Feierlaune. Dafür spielen der Vatikan und die Sommerferien eine wichtige Rolle. Der Wendepunkt wiederum, der mich beschäftigt, liegt ein paar Wochen zurück.

Kurz vor der Sommerpause des Parlaments brachte die von Georgia Melonis "Fratelli d'Italia" angeführte Regierungskoalition einen Gesetzesentwurf ein, der die politische Unabhängigkeit des berühmten "Centro Sperimentale di Cinematografia", des Experimentellen Zentrums für Kinematographie, massiv bedroht. Es verdankt seine Entstehung, ebenso wie die zwei anderen großen Aushängeschilder der italienischen Filmkultur, Cinecittà und das Festival von Venedig, dem Faschismus. Allesamt waren sie von Benito Mussollini gewünscht und eröffnet. Den Post- bzw. Neofaschisten ist das "CSC" mithin teuer, und sie fordern es zurück. Das Centro ist eine staatlich finanzierte Stiftung, unter deren Dach sich die Nationale Filmschule und die Nationale Kinemathek, eines der wichtigsten Filmarchive des Landes, befinden. Sie gibt zudem eine der langlebigsten und bedeutendsten Filmzeitschriften Europas heraus, "Bianco e Nero".

Die parlamentarische Eingabe fand gewissermaßen unter einer Tarnkappe statt: Das Dekret ist Teil eines Gesetzespakets, das die Organisation des in zwei Jahren anstehenden Vatikanjubiläums regeln soll. Er sieht zahlreiche Umstrukturierungen und den Austausch der Leitung mehrerer Institutionen vor. Am 4. August, einen Tag nach Verabschiedung des Gesetzes, reichte die Marta Donzelli, die weit über die Landesgrenzen hinaus renommierte Präsidentin des "Centro Sperimentale", ihre Kündigung ein.

Ein gewaltiger Proteststurm brach los. Nanni Moretti beklagte die "Brutalität und Grobheit" dieses Vorhabens. Gemeinsam mit über 6000 Filmkünstlern, darunter zahlreiche ehemalige Absolventen und Dozenten der Filmschule wie Alba und Alice Rohrwacher, Marco Bellocchio, Paolo Sorrentino und Wim Wenders, unterzeichnete er eine wütenden Petition. Der ansonsten großsprecherische Kulturminister Gennaro Sangiuliano (gleich zwei Heilige in einem Namen) stellt sich taubstumm. Moretti schimpft derweil, das Urteil, das er über die Regierung abgeben müsse, sei noch viel schlimmer als sämtliche Vorurteile, die er zuvor hegte. Die rechtspopulistische bis – extreme Koalition aus Fratelli d'Italia, Lega Nord und Forza Italia bisher längst nicht alle Befürchtungen erfüllt, die ihr Wahlsieg weckte. Der Anblick durch die Städte marschierender Schwarzhemden ist ausgeblieben und die smarte Meloni geriert sich in Brüssel als Schaf im Wolfsfell. Aber in der Kulturpolitik setzt sie alles daran, ihre Wahlversprechen umzusetzen. Die Leitung diverser Museen, Ausgrabungsstätten und Opernhäuser hat sie bereits nach dem Prinzip "Italy first!" umbesetzt. Auch die Führungsspitze der RAI hat sie attackiert und wird sie wohl nach Parteibuch neu besetzen.

Nach Fernsehen und Rundfunk steht nun also das Kino auf Ihrer Liste. Hier setzt die Regierung gleich beim Nachwuchs an. Die 1935 auf Anregung des Regisseurs Alessandro Blasetti gegründete Filmschule in Rom zählt zu den bedeutendsten weltweit. Sie kann auf eine wahrhaft beeindruckende Geschichte zurückblicken. Zu ihren ersten Absolventen zählte Michelangelo Antonioni; späteren Jahrgängen gehörten Claudia Cardinale, die Regisseurin Liliana Cavani, der Produzent Dino de Laurentiis, der japanische Regisseur Yasuzo Masumura und der Kameramann Vittorio Storaro an. Verblüffend, wie viele Lateinamerikaner hier studiert haben: die Kubaner Nestor Almendros und Tomás Guittérez Alea und der kolumbianische Schriftsteller Gabriel Garcia Márquez. Auch die Liste der Dozenten ist illuster. Rudolf Arnheim, Giancarlo Giannini, Roberto Rossellini haben in Rom ebenso unterrichtet wie der geniale Drehbuchautor Furio Scarpelli oder Andrea Cammileri, der Erfinder des Commissario Montalbano. Anfangs sollte das Experiment der faschistischen Propaganda dienen, aber nach Kriegsende löste sich die Talentschmiede rasch von ihren Anfängen. Sie verband sich eng mit dem Neorealismus und brachte mehrere Generationen linksverdächtiger Filmkünstler (Giuseppe de Santis, Bellocchio) hervor. Nur architektonisch erinnert das Gebäude in der Via Tuscolana noch an die Gründungsepoche.

Gennaro Sangiuliano ist geradezu besessen vom Kampf gegen die "linke Hegemonie", die jahrzehntelang die italienische Kultur bestimmte. Ein solches Talent für Rabulistik hätte man dem Neapolitaner, der in der faschistischen Nachfolgepartei MSI anfing, gar nicht zugetraut: Die Linke hassen, aber ihre intellektuellen Leitfiguren zitieren, da kommt Gramsci gerade recht. Nun liegt das Schicksal des "Centro Sperimentale" und weiterer Institutionen in den Händen von Staatspräsident Sergio Mattarella, der das Gesetz unterzeichnen muss. Der ist Sozialdemokrat, aber welche Hoffnungen lassen sich heutzutage daran knüpfen?

 

 

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