Ein Wegbereiter

Gestern las ich in einem Interview mit Xavier Dolan, dass er aufhören will, Filme zu drehen. Das kanadische Wunderkind ist inzwischen 33 Jahre alt und denkt offenbar ernsthaft ans Rentenalter. Ebenfalls gestern las ich, dass der Produzent Ed Pressman gestorben ist. Er war 79 und hatte viel vor.

Zu seinen Projekte zählten unter anderem vier neue Varianten von „Bad Lieutenant“ produzieren, für die er international Regisseure gesucht hatte und die in diversen Metropolen weltweit angesiedelt sein sollten. In seiner Pipeline befand sich ein unverfilmtes Drehbuch von William Goldman, für das er nun die geeigneten Filmemacher gefunden hatte. Zudem plante er ein Biopic über Salvador Dali mit Ben Kingsley und Ezra Miller in der Hauptrolle. Und er versprach sich einiges vom neuen Film von Mary Harron, deren „American Psycho“ er produziert hatte. Vielleicht wird aus diesen Plänen noch etwas, denn längst hatte er seinen Sohn Sam ins Familiengeschäft aufgenommen.

Ich glaube, Edward R. Pressman war der erste Produzent, dessen Arbeit mich intensiv beschäftigte. Anfang der 1980er Jahre las ich in „Film Comment“ einen Artikel über ihn, entweder ein Interview oder ein Porträt, ich erinnere es nicht mehr genau. Sein Name war mir aus einigen Vorspannen vertraut, oft von US-Independents, die bei uns keinen Kinostart hatten und spätabends im Fernsehen liefen. Nun stellte ich fest, dass er ein Bindeglied zwischen sehr unterschiedlichen filmischen Universen war. Er fungierte auch als Co-Produzent von „Conan, der Barbar“, was für ihn kein Widerspruch war. Pressman hatte ein Faible für Comics und Pulp Fiction, wo er eine große künstlerische Freiheit vermutete. Am stärksten beeindruckte mich wohl das Porträtfoto, das auf der ersten Seite des Artikels zu sehen war. Sein scharf geschnittenes Gesicht ähnelte dem des Nebendarstellers James B. Sikking. Aber mit seiner Nickelbrille und dem eleganten Hut sah er nicht aus wie ein Produzent, sondern eher wie ein Ostküstenliterat aus den 1930er Jahren. Das „R“ in seinem Vornamen stand für Rambach, den Familiennamen seiner Mutter. Die Eltern besaßen ein floriendes Unternehmen, das Spielzeug herstellte, in das Edward aber nie einsteigen wollte.

Die obige Liste seiner Projekte erweckt vielleicht einen falschen Eindruck von seinem Temperament und seinen Interessen. Er war mitnichten einer jener Produzenten, die an alten Ideen festhalten und sie bis zum letzten Tropfen ausquetschen. Allerdings war er klug genug, sich die Rechte an etlichen intellectual properties zu sichern, die ein langes Kinoleben versprachen, etwa „The Crow“. Er mischte dann auch bei deren Fortsetzungen oder Remakes mit. Ich kann mir indes nicht vorstellen, dass mit den ersten „Bad Lieutenants“ von Abel Ferrara respektive Werner Herzog wirklich viel Geld zu verdienen war. Im Nachruf der „New York Times“, den ich gestern entdeckte (tatsächlich war er schon am 17. Januar gestorben, aber die NYT ist chronisch spät, was Nachrufe angeht, und in der IMDb war vorher kein anderer verlinkt worden), wurde er vor allem als Entdecker junger Talente gefeiert.

Dafür hatte er sich die richtige Zeit ausgesucht: die frühen 70er, als sich das New Hollywood formierte und vieles möglich schien. Er setzte auf das Unerprobte, Vielversprechende, produzierte Terrence Malicks Regiedebüt „Badlands“, frühe Filme von Brian De Palma (darunter „Sisters“) und „The Hand“, das Regiedebüt von Oliver Stone (von dessen Drehbuch zu „Conan“ nicht viel übrig geblieben war). Mit ihm machte er danach u.a. „Wall Street“, einen der wenigen echten Blockbuster in seinem Portfolio. Später unterstützte er Katherine Bigelow, als die Finanziers darauf bestanden, dass die Hauptfigur von „Blue Steel“ ein männlicher Cop sein sollte und um Himmels Willen keine Frau. David Byrne von den „Talking Heads“ verdankte ihm die Chance, bei „True Stories“ Regie zu führen. Damals interviewte ich in Deauville den Regieneuling, der seinen mutigen Produzenten in höchsten Tönen lobte.

Die Liste lässt sich fortsetzen, auf sie gehören auch „Paradise Alley“ von Sylvester Stallone (gewiss, seit „Rocky“ ein zugkräftiger Name, dem aber 1978 niemand sonst zutraute, dass er Regie führen könnte) oder Jason Reitman („Thank you for smoking“). Im Grunde hat es auch Schwarzenegger ihm (und Dino de Laurentiis), dass er ein Actionstar wurde. Zuvor hatte der Bodybuilder nur in Flops mitgespielt. Pressmans Gespür für Talente ging über den amerikanischen Tellerrand hinaus. Er holte die Taviani-Brüder nach Hollywood, wo sie „Good morning, Babylon“ drehten und setzte Barbet Schroeder als Regisseur von „Reversal of Fortune“ („Die Affäre der Sunny von B.“), ein Meisterwerk filmischer Kälte - und noch immer dessen bester US-Film. Pressman war an „Das Boot“ beteiligte und vertraute 1985 dem Australier Fred Schepisi“ die Verfilmung von David Hares „Plenty“ an. Der Brite Alex Cox, bis dahin ein Spezialist für Punk, drehte ein Jahr später den Western „Walker“ für ihn (und hatte beim Interview in Deauville auch nur Gutes über Pressman zu sagen).

In den 1980er, als er schon eine ganze Weile im Geschäft war, wurden die Agenturen immer mächtiger in Hollywood und das Produzieren lief auf ein packaging der Talente hinaus. Pressman konnte irsinnige und hochkarätige Pakete schnüren. Der Nachruf der NYT nennt „Hoffa“ als Beispiel. Da überredetet er David Mamet das Drehbuch zu schreiben, gewann Jack Nicholson für die Titelrolle des Gewerkschaftsbosses, der unter ungeklärten Umständen verschwand, und wählte mit Danny de Vito einen Regisseur aus, den niemand auf dem Plan hatte. Ende der 1980er fanden auch etliche Institutionen heraus, dass dieser Produzent ein einzigartig kultivierter Strippenzieher war. 1988 widmete ihm das Museum of Modern Art eine Retrospektive, im Jahr darauf die Cinémathèque francaise. Auch die Trüffelschweine vom Filmfest in Oldenburg ehrten ihn. Bis zum Schluss blieb er ein Mann für alle Genres, ein Visionär mit Geschmack und Geschäftssinn. Ans Aufhören hat er, obwohl die fast fünfeinhalb Jahrzehnte seiner Laufbahn voller Wechselfälle waren, nie gedacht.

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