Unentrinnbare Schönheit

Mein Studium finanzierte ich, indem ich während der Semesterferien in einem Krankenhaus arbeitete, an dem ich zuvor meinen Zivildienst geleistet hatte. Ich wurde in der Telefonzentrale und Pforte eingesetzt, wo ich der erste Ansprechpartner von Patienten oder Besuchern war. Dabei kam es zu interessanten Begegnungen, von denen aber nur eine an dieser Stelle von Belang ist. Sie fand an einem Sonntagnachmittag statt und war unerfreulich.

Ein soignierter älterer Herr, der am nächsten Tag entlassen wurde, wollte seine Telefonrechnung begleichen. Sein Nachname ließ mich aufhorchen. "Verzeihung", hob ich höflich an, "sind Sie verwandt mit George Hoyningen-Huene?" Er musterte mich kühl und erwiderte: "Wir Hoyningen-Huene sind alle miteinander verwandt." Sein Tonfall gab mir zu verstehen, dass er keinen Anlass sah, einem jungen Schnösel seine Familiengeschichte darzulegen. Ich war gekränkt: Erstaunte es ihn denn nicht, mitten in der westfälischen Provinz auf jemanden zu treffen, dem der Name seines Angehörigen etwas sagte? Zumal dessen Ruhm zwei Jahrzehnte nach seinem Tod in Europa ziemlich verblasst war? Ich denke, an diesem Nachmittag verkannten wir beide den Lauf der Welt.

Der kurz angebundene Verwandte konnte allerdings auch nicht wissen, dass sein ausgefallener Nachname mir womöglich aus den falschen Gründen bekannt war. Zu diesem Zeitpunkt war George Hoyningen-Huene für mich in erster Linie ein Farbberater, der ab Anfang der 1950er Jahre in Hollywood vor allem für George Cukor gearbeitet hatte. Ich wusste, dass er zuvor ein berühmter Modefotograf gewesen war, aber dies Vorleben war mehr Legende als Anschauung. Nach den Semesterferien fand ich in einer Berliner Buchhandlung die Monographie "The Photographic Art of Hoyningen-Huene" von William A. Ewing, zu der Cukor das Vorwort verfasst hatte. So entdeckte ich das schwarzweiße Schaffen eines Mannes, den ich nur als Farbkünstler kannte. In der Villa Grisebach in Berlin läuft nun bis 29. September eine zwar überschaubare, aber atemraubende Schau seiner Fotoarbeiten; es ist die erste Einzelausstellung, die ihm in Deutschland gewidmet ist. Aber verweilen wir noch einen Moment in Hollywood; nicht nur, weil dies der Blog einer Filmzeitschrift ist, sondern weil Hoyningen-Huenes Schaffen dort ganz einzigartig war.

Cukor hatte den weltläufigen Fotografen auf einer Europareise kennengelernt, Ob sie ein Liebespaar waren, geht aus den Biographien des Regisseurs nicht zweifellos hervor. Auf jeden Fall gehörte der „baltische Baron“, wie man ihn ehrfürchtig in der Filmmetropole nannte, zu Cukors engstem Freundeskreis. Unter anderem gestaltete er dessen Weihnachtskarten und den Garten seiner Villa in Beverly Hills. Als "Farb-Koordinator" wirkte er ab 1954, angefangen mit Cukors Version von »A Star is born«, bis zu seinem Tod 1968 an fast allen Filmen des Regisseurs mit. Der Terminus kling technisch, bezeichnete aber ein umfassend kreatives Mandat. Zusammen mit dem Szenenbildner Gene Allen war er für den Look von Filmen wie »Knotenpunkt Bhowani«, »Machen wir' s in Liebe« und »Der Chapman Report« verantwortlich. Huene stimmte Dekors und Kostüme aufeinander ab und griff auch in die Arbeit der Maskenbildner ein: Der Chorus in „Le Girls“ ist greller geschminkt als die drei Tänzerinnen im Vordergrund.

Der 1900 in St. Petersburg geborene Hoyningen-Huene war früh vom Kino fasziniert. Das Wertvollste, das er 1917 bei der Flucht seiner Familie (die in der Tat dem baltischen Adel entstammte) vor den Bolschewiki gerettet hatte, war ein Smoking. Der kam ihm zupass, als er Statistenrollen in den Eclair-Studios in Paris bekleidete. Dabei lernte er viel über die Lichtsetzung. »Broken Blossoms« von Griffith, »Die freudlose Strasse« von G.W. Pabst und, trotz allem, Eisensteins »Panzerkreuzer Potemkin« elektrisierten ihn. In Berlin war er 1932 Zaungast bei den Dreharbeiten zu Pabsts „Die Herrin von Atlantis“ und entschied, seine eigene Version zu drehen. Dazu kam es nicht. Jedoch drehte er mehrere Dokumentar- und Reisefilme; zu einem schrieb Aldous Huxley den Kommentar.

Mithin brachte er eine geballte, auch exotische Kultiviertheit ins Hollywoodkino ein. Dort arbeitete er wie ein Maler, der seine Palette eher reduziert als ausschöpft. In »A Star is born« treten Blau und glühendes Rot in einen heftigen Widerstreit, bevor weitere Nuancen ins Spiel kommen. Auch »Les Girls« ist passagenweise eine Studie in Scharlach, die sich immer wieder in Pastelltöne auflöst. Vor den Dreharbeiten demonstrierte Huene mit Zigarettenrauch, wie eintönig der Hintergrund des Musicals sein sollte, damit die Farben und Charaktere hervorstechen konnten. Die Welt des Millionärs Yves Montand ist ebenfalls in gedeckte Farben getaucht, bevor Marilyn Monroe in »Machen wir' s in Liebe« gehörig Leben in sie bringt. Farbvaleurs sind Akzente, die er stets privilegiert ins Spiel bringt.

Walter Bernstein, der als Drehbuchautor an anderthalb Filmen (dem sympathisch unordentlichen Western »Die Dame und der Killer« sowie »Something's gotta give«, dem unvollendeten, letzten Film Monroes) mit ihnen arbeitete, berichtete mir einmal, wie beeindruckend das Dreigespann war. Der gedrungene Ex-Polizist Allen ("Er sah aus wie ein Cop, bewegte sich wie ein Cop und redete wie ein Cop.") schien so gar nicht zum raffinierten Regisseur und dem eleganten, hochgewachsenen Huene (der sich übrigens mit Pilates fit hielt, auch darin ein Pionier) zu passen. "Sie waren wirklich einfallsreiche Visualierer der Bücher", erzählte Walter, "die jede Einstellung zu dritt konzipierten." Als Farbberater arbeitete Huene nicht ausschließlich für Cukor. Er verwandelte beispielsweise "Die Abenteuer des Haiji Baba" in einen gezügelten Buntfilm. Sein letzter Film »Eine andere Art von Liebe« führte ihn ins Milieu der Pariser Couture zurück, in dem er berühmt geworden war.

Damals, in den 1930ern, war er zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle. Die Ausstellung führt vor Augen, wie er das große Modejahrzehnt entscheidend mitprägte und Einfluss auf Irving Penn und Richard Avedon ausübte. Die eleganten Kleider, Roben und Hüte stehen zwar im Zentrum seiner Kompositionen, aber er verstrickt sie in einen Dialog mit den neoklassizistischen Dekors, in die er sie oft stellt. So nobilitierte er einerseits ein Genre, dem strenge Geister gern unschickliche Nähe zum Kommerz nachsagen. Seine Lichtsetzung und die Art, in der er die Kostüme drapiert, Faltenwürfe arrangiert oder Linien unterstreicht, dynamisieren die Modefotografie zugleich. Die Kleider geraten in Bewegung. Im Gegenzug jedoch, das ist eine tolle Binnenspannung seines Werks, wirken die Modelle oft selbst wie Statuen oder Skulpturen. Er betrachtet sie nicht als bloße Kleiderständer, sie haben Charakter – nicht nur die große Lisa Fonssagrives, sondern viele andere, deren Namen heute vergessen sind, ihn aber souverän inspirierten. Ihr Blick ist meist abgewandt. Sie posieren, folgen aber ihren eigenen Gedanken oder Tagträumen. Oft wenden sie dem Betrachter gar den Rücken zu wie in seinem berühmtestem Bild, das zwei Badeanzugträger zeigt, die kühn auf den Horizont blicken. Die Welt der Mode ist entrückt und dadurch begehrenswert in seinen Fotografien. Kaum je wagt sie sich auf die Straße (für William Klein war er bestimmt kein Vorbild), sondern vertraut sich dem Zauber des Ateliers an.

Ähnliches gilt für die Porträts von Hollywoodstars, die er ab 1929 aufnimmt. Gary Cooper betrachtet er als eine zutiefst romantische, verträumte Ikone; Carole Lombard ruht auf einem Meer aus Federn; Frank Capras Kreativität beschwört Huene als Arbeit an der urbanen Moderne. Nur Cary Grant und Ava Gardner adressieren offen den Blick des Besuchers; er als einnehmender Gentleman von nebenan, sie als indische Göttin, die während der Dreharbeiten zu »Knotenpunkt Bhowani« einen Tonkrug auf dem Haupt trägt. Huenes Reisefotografie ist ebenfalls präsent in der Schau. Er lebte eine Weile in Nordafrika, wo er allerorten Noblesse entdeckt. Antike Ruinen in Griechenland und Ägypten bieten sich stolz dem gleißenden Licht dar und werfen tiefschwarze Schatten. Seine Aktstudien sind von sublimer Homoerotik. Der Schönheit konnte dieser Fotograf nie entrinnen.

Obwohl die Ausstellung nicht umfangreich ist, habe ich in ihr etliche Bilder entdeckt, die in Ewings reich illustrierter Monografie nicht enthalten sind. Das Erbe des Fotografen wird von den George Hoyningen-Huene Estate Archives in Stockholm gepflegt. Auf ihrer Seite georgehoyningenhuene.org kann man Abzüge ausgewählter Motive erwerben. Bestimmt überschreiten die Preise das Budget eines Filmkritikers, aber zum Träumen verleitet die Arbeit dieses Künstlers ja vehement. Einer, den das Archiv hoffentlich einmal erfüllen wird, betrifft die Erschließung von Huenes eigenen Filmen. Sie sind für mich noch Legende und keine Anschauung.

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