Und ewig lockt das Monument Valley

Blueberry sah ohnehin immer schon aus wie Jean-Paul Belmondo, erst recht, solange Jean Giraud ihn zeichnete und er den Rang eines Leutnants bekleidete. Und die Comic-Saga, die der Zeichner 1963 mit dem Szenaristen Jean-Michel Charlier aus der Taufe hob, hatte stets tiefe Wurzeln im Kino. Namentlich ihre Szenerie gemahnt an das Monument Valley, das aus europäischer Perspektive zum Inbegriff des Westens geworden ist. Aber das Blueberry je von einem solchen Sammelsurium filmischer Doppelgänger umgeben sein würde, habe ich mir bis zu seinem neuen Abenteuer nicht vorstellen können.

Wieder einmal muss er versuchen, einen Rachekrieg zwischen Indianern und weißen zu verhindern. Die neuen Autoren, die von den lange verstorbenen Schöpfern nun die Stafette übernehmen, sind hochkarätig. Joann Sfar und Christophe Blain scheinen vor der Arbeit an ihrem Album „Das Trauma der Apachen“ einen Western-Schnellkurs besucht zu haben, der sie von Ford über Peckinpah und Leone bis in die Untiefen der „Petroleum-Miezen“ führte. Ein Kavallerist ist dem großen Woody Strode nachempfunden, dem Sergeant Rutledge aus Fords „Der schwarze Sergeant“. Andere Soldaten erinnern an John Agar oder Jeffrey Hunter, die ebenfalls für Ford die blaue Uniform anzogen. Der Kommandant des Forts trägt die Zügen von Richard Harris, dem erbitterten Widersacher Charlton Hestons in „Sierra Chariba“; er heißt auch so, Captain Tyreen. Seine Frau ähnelt Claudia Cardinale, seit „Die gefürchteten Vier“ immer wieder gern in Western gesehen. R.G. Dahlstrom tritt in die Fußstapfen der religiösen Fanatiker, die R.G. Armstrong oft bei Peckinpah spielt; hier zusätzlich mit einer inzestuösen Note. Die Farmerin Mrs. MacIntosh sieht aus wie Brigitte Bardot, Claudias Gegenspielerin in den „Petroleum-Miezen“. Weshalb es den schnurrbärtigen Charles Denner in den amerikanischen Westen verschlagen hat, war mir nicht ganz klar, aber seine Rolle ist auch entsprechend mysteriös.

Die Filmassoziationen springen noch ein, zwei Generationen weiter. Einer der Jungen, die der dubiosen Sekte angehören, ist Paul Dano aus dem Gesicht geschnitten. Von ihm kenne ich zwar keinen Ausflug in dies Genre, dafür hat er sich mit „There will be blood“ prächtig für dieses Erzählterrain empfohlen, auf dem Landnahme, Wahn, Barbarei und Zivilisierung kollidieren. Die zielsichere Bimhal mag an Hailee Steinfeld aus „True Grit“ erinnern. Aber genau kann man das nicht sagen, denn Blain ist kein Vertreter der realistischen Schule. Womit gleich ein wesentliches Probleme der Wiederbelebung der Serie benannt ist. Sein karikierender Stil ist besser aufgehoben in einer Satire wie „Quai d' Orsay“, die Bertrand Tavernier ziemlich hinreißend verfilmt hat. Hier jedoch scheint das Aussehen der Figuren immer ein wenig zu schwanken, der Strich ist launen- und skizzenhaft. Blueberry erkennt man natürlich sofort an der gebrochenen Nase. Aber auch seine Züge suchen noch nach Beständigkeit. Im zweiten Band gewinnt er hoffentlich an Kontur.

Allerdings wissen Sfar und Blain genau, worauf sie sich eingelassen haben. Sie schreiben die Entzauberung der Mythen und in gewisser Weise auch des Helden fort, der immer eine robusten Unberechenbarkeit besaß. Der Rebell in Uniform ist kein Antiheld, aber ein Herold der Ernüchterung, eine Vorhut des Ungehorsams und der Zeitläufte. Der Pariser Mai geht nicht spurlos an ihm vorüber, Giraud und Charlier lassen ihn frei, er scheidet aus der Armee aus. Die Ungebundenheit war wohl auch Teil des Arbeitsprozesses, der üblicherweise auf der Chronologie von Szenario und Zeichnung beruht. Hermann Huppen, von dem die mindestens ebenso großartige „Comanche“-Serie stammt, berichtete einmal, als Zeichner sei man stets von der Handlung abhängig. Nur bei einem Genie wie Giraud sei das anders gewesen, der habe schon mal beim Szenaristen angerufen und gesagt, ich bin schon vier Seiten weiter, wann kommt die Geschichte?

Blueberry ist eine Figur der Entgrenzung. Das zumindest haben Jan Kounen und Vincent Cassel begriffen, als sie 2003 „Blueberry und der Fluch der Dämonen“ drehten. Ich fand ihn damals eine entsetzliche Travestie und hatte den Eindruck, Kounen habe „2001 - Odyssee im Weltraum“ ein paar Mal zu oft gesehen, aber nicht verdaut. Mit der Westernserie hat der Film wenig zu tun, dafür aber viel mit den Eskapaden ins Okkulte und Schamanistische, die Giraud später unter dem Pseudonym Möbius unternahm. Das mag erklären, weshalb er dem Zeichner angeblich gefiel. Es ändert aber nichts daran, dass die beste Blueberry-Verfilmung von Howard Hawks stammt. Sie kam zwar vier Jahre vor dem Erscheinen des ersten Blueberry-Abenteuers heraus, aber mit der zeitlichen Abfolge muss man es in diesem Fall, siehe oben, ja nicht so genau nehmen. „Der Sheriff“ (im Original „Der Mann mit dem Silberstern“) ist jedenfalls ein ziemlich dreistes Remake von „Rio Bravo“ - und kam 1966 heraus, im selben Jahr also, als dieser sein eigenes drehte („El Dorado“). Das Album fängt zwar damit an, dass Blueberrys alter Freund Jimmy MacClure „My Darling Clementine“ singt (damals schon das Sammelsurium-Phänomen), folgt dann aber, generell und im Detail, der Dramaturgie von „Rio Bravo“. Blueberry, zu allem bereit, um der Routine des Garnisonsalltags zu entkommen, heftet sich den silbernen Sheriffstern an, um mit Hilfe lauter untauglicher Freiwilliger einer übermächtigen Bande das Handwerk zu legen. Selbst Angie Dickinsons strategische Blumenvase kommt vor.

Oder sagen wir es so: Belmondo stand nicht von ungefähr Pate für diese Figur. Denn Giraud und Charlier haben mit Blueberry den Western geschaffen, den die Nouvelle Vague, schon aus Budgetgründen, nie gedreht hat. Mit ihm hält ein moderner Geist Einzug ins Genre, ein frecher Wind. Die Autoren waren Schrittmacher, auch wenn sie stilistisch nicht unbedingt den Innovationen der Neuen Welle verpflichtet waren. Die Anwendung klassischer filmischer Stilmittel war schon bahnbrechend. Die Parallelmontage der Verfolgungsjagden in „Die vergessene Goldmine“ ist phantastisch. Jedoch gibt es immer wieder auch Ellipsen, tolle jump cuts bei Giraud & Charlier. Ihre Nachfolger sind keine Traditionalisten, aber die Aneignung filmischer Techniken, die der Comic in den 60er Jahren vollzieht, ist ihnen schon Attraktion genug. Die Fortsetzung „Die Gesetzlosen“ ist in Frankreich für dieses Jahr angekündigt. Ich bin gespannt. Vielleicht tauchen ja diesmal Doppelgänger von Victor McLaglen, Ben Johnson und Warren Oates auf. 

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