Prager Herbst

Ein Lächeln greift niemanden an. Es ist leise, horcht ins Innere. Der Erheiterte muntert damit vielleicht sogar sein Gegenüber auf und ermutigt zum friedlichen Miteinander: Wer lächelt, muss nicht gleich Zähne zeigen. Das Etikett des lächelnden Humanisten, das man dem am Samstag verstorbenen Jiri Menzel früh anheftete, beschreibt diesen Filmemacher noch immer trefflich.

Das bedeutet nicht, dass seine Komödien unterhalb der Lachschwelle lagen. Sie waren nicht nur Schmunzelfilme, auf sie durfte auch lauthals reagiert werden. Zugleich sprach aus ihnen ein Einverständnis mit dem Leben, bei dem sich Heiterkeit und Wehmut die Waage hielten. Sie waren nicht versöhnlich. Widrigkeiten und Konflikte blieben auch nach dem Schlusstitel bestehen. Der 1938 in Prag geborene Regisseur lud sein Publikum ein, ihnen mit skeptischem Humor zu begegnen. Nun aber genug der Vergangenheitsform, seine Filme leben ja weiter!

Man sollte dieses Menzel-Lächeln nicht unterschätzen. Es kann wehrhaft und abgründig sein. Bei ihm ist mit allem zu rechnen, das Publikum muss gefasst sein auf die Wechselfälle des Lebens. Diese Lehre erteilt ihm schon »Liebe nach Fahrplan«/ »Scharf beobachtete Züge«, mit dem Menzel 1966 seinen Durchbruch erlebt und einen Oscar gewinnt. Darin verzweifelt der junge Milos so sehr an seiner Sehnsucht nach Liebe und Sex, dass er einen Selbstmordversuch begeht – und das Glück, das er am Ende findet, mündet in einem heroischen Opfer. Mit der tschechoslowakischen Neuen Welle tritt in den 1960er Jahren eine ganz eigenwillige Spielart der Tragikomik ins Weltkino ein. Vera Chytlilová, Milos Forman, Jan Nemec, Ivan Passer und andere verstehen sich darauf, behände Tonfall und Register zu wechseln. Leichtfüßig spielen ihre Komödien ins Dramatische hinüber. Es gelingt ihnen, das Alltägliche im Kino in etwas Außerordentliches verwandeln. Die Wirklichkeit birgt sanft poetisches Potenzial, aber der Alltag kann auch in heillosem Chaos eskalieren.

Forman und Passer gingen bald nach Hollywood, aber stilistisch blieb die Verbindung eng. Die satirische Nonchalance Menzels bedient sich ganz ähnlicher Stilmittel, wie sie Forman in seine frühen Komödien einsetzt. Beide haben ein Faible dafür, die Vorspanne ihrer Filme mit Fotografien zu drapieren, die eine vermeintlich heldenhafte Vergangenheit beschwören sollen, und dazu scheppernde Marschmusik erklingen zu lassen. Zugleich gewinnt die Satire bei ihnen eine erstaunliche Sinnenfreude: Ihre Filme sind verschmitzte Rhapsodien der begehrlichen, anzüglichen Blicke.

Das Genre der Komödie scheint in der Mitte der 60er noch als eine sichere Tarnung ihrer gesellschaftskritischen Absichten. Nach dem Ende des Prager Frühlings jedoch nimmt die Zensur sie ernst. Forman wird von einer Haftstrafe bedroht. Auch Menzel könnte ihm ins amerikanische Exil folgen, denn nach dem luftigen »Ein launischer Sommer« bietet ihm Universal 1968 einen Zweijahresvertrag an. Statt dessen dreht er »Lerchen am Faden« nach einer Vorlage seines Lieblingsautors Bohumil Hrabal, eine Moritat früher ideologischer Entzauberung: Durch die Arbeit auf einem Schrottplatz sollen lauter Dissidenten, mit denen wahrlich kein kommunistischer Staat zu machen ist (Philosophen, Saxophonspieler, Buchhändler und dergleichen mehr) zu Beginn der 50er Jahre umerzogen werden. Dieses trotz seines Schauplatzes lyrische Meisterstück der Subversion bringt ihm ein mehrjähriges Arbeitsverbot ein. 1990 erhält es, mit 21 Jahren Verspätung, den Goldenen Bären in Berlin.

Die Filme, die danach dreht, sind Zeugnisse einer schelmischen inneren Emigration. „Das einsame Haus am Waldesrand“ von 1975 beschreibt eine Fluchtbewegung: Ein Familienvater aus Prag wünscht sich ein Refugium auf dem Land (die Kinder sind begeistert, die Ehefrau hingegen ist Realistin) und wird dort mit falscher Folklore und echtem Starrsinn konfrontiert. Der Romantiker findet sich in einer rustikalen, durchaus doppelzüngigen Idylle wieder (der Scherz über die Langsamkeit des Trabant wird im sozialistischen Bruderstaat DDR gewiss nicht auf Begeisterung gestoßen sein). Indes zielt Menzels Humor auf Unverfänglichkeit; er tritt das Erbe Jacques Tatis an, des liebenswürdigen Verwerters des Menschlichen.

In »Die wunderbaren Männer mit der Kurbel« wiederum vollzieht er 1978 eine Flucht in die Nostalgie: Er erweist den Pionieren des tschechoslowakischen Filmgeschäfts seine Reverenz. Vergnügt feiert er die Unternehmungslust seiner Helden. Ein Zauberer, der seine Auftritte mit Filmvorführungen veredelt, träumt von einem festinstallierten Kino in Prag, für das der rundliche Schwerenöter sogar die Fährnisse einer Eheschließung in Kauf nehmen würde. Er verbündet sich mit einem Kameramann (gespielt vom Regisseur selbst), der einen eigenen Filmstil entwickeln will. Wiederum gerät Menzel sein Stoff zu einem Fest der Sinnenfreude, das zugleich eine ungemein detailreiche, zugeneigte Archäologie seiner eigenen Kunst ist.

Danach hat er noch zahlreiche Filme inszeniert, darunter 2006 den erfreulich unmodernen Berlinale-Höhepunkt »Ich habe den englischen König bedient«. Er brillierte dezent als Darsteller, zuletzt 2018 vielbeachtet zusammen mit Peter Simonischek in »Der Dolmetscher«. Bei uns kam nicht alles heraus, was Jiri Menzel gemacht hat. Aber es war immer gut zu wissen, dass es ihn gab. 

 

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