Ein Identitätsstifter

Erinnern Sie sich noch daran, dass es einmal eine Fluggesellschaft gab, die »British European Airways« hieß? Wahrscheinlich ebenso undeutlich wie ich. Mir kam sie erst vor ein paar Tagen wieder in den Sinn, als ich zwei Werbeanzeigen sah, die der Amerikaner Saul Bass 1957 für sie entwarf.

BEA wurde 1946 gegründet und verband Heathrow mit den Metropolen des europäischen Festlandes. Ihr Streckennetz war bemerkenswert dicht, bis die Fluglinie Anfang der 1970er Jahre zusammen mit der BOAC (an die sich auch nur noch dank der Beatles erinnert) in »British Airways« aufging. Das »E«, das damit verschwand, ist in Bass' Anzeigen wunderbar farbenfroh präsent. Die erste Werbung zeigt den Slogan »Fly BEA« inmitten europäischer Flaggen, die munter auf einem Stapel von Koffern prangen. aussehen wie Koffer. In der zweiten Anzeige tauchen sie in den vielfach verzweigten Kondensstreifen eines Flugzeugs auf. »Europes foremost Airline« reklamiert der Werbespruch, und tatsächlich sieht es so aus, als würde von der Maschine eine Antriebskraft ausgehen, die ganz Europa mit sich ziehen. 1957 war diese Vorstellung gewiss weniger absurd als heute.

Wie bei vielen der Designs, die Saul Bass schuf, scheint die Grundidee naheliegend. Sie mutet einfach an, aus ihr spricht industrielle Zuversicht. Aber man muss erst einmal auf eine solche Idee kommen. Bass, der vor 100 Jahren und zwei Tagen in der Bronx geboren wurde, verstand sich auf diese Art graphischer Kurzschrift, bei der ein Gedanke plötzlich sichtbar wird. Dieses Talent kam ihm zupass, als er in den 1950er Jahren den Filmvorspann revolutionierte und zu einer eigenen Kunstform erhob. Viele davon werden Sie kennen: »Der Mann mit dem goldenen Arm«, »Das verflixte 7. Jahr«, »Vertigo«, »Anatomie eines Mordes«, »Goodfellas«; »Casino« für Martin Scorsese war die letzte Arbeit, die er 1996 wenige Wochen vor seinem Tod fertigstellte.

Der Criterion Channel in den USA feiert sein Jubiläum mit einer 18teiligen Filmreihe. Der Trailer dazu ist schmissig, beinahe so verschmitzt, packend und hintergründig wie eine Titelsequenz von Bass selbst. Aus Anlass seines 100. Geburtstages nahm ich endlich den Prachtband über ihn zur Hand, der 2012 bei Lawrence King Publishing in England erschien. Er stand aber auf einer langen Liste unerledigter Freuden und war noch eingeschweißt. Nachdem ich ihn einige Stunden lang studiert hatte, stellte sich bei mir ein Effekt ein, der Bass' ästhetischem Prinzip entsprach: Ich sah ihn mit neuen Augen.

1991 lernten Lars-Olav Beier und ich ihn auf dem Filmfestival in Braunschweig kennen, wo er mit einer Retrospektive und Ausstellung gefeiert wurde. Er war ein eloquenter, ungemein einnehmender Interviewpartner. Seine Frau Elaine, mit der er den Großteil seiner Vorspanne gestaltet hatte, begleitete ihn. Wir hätten sie eigentlich beide zusammen interviewen sollen, aber sie hielt sich diskret im Hintergrund. Einmal lachte sie, als ich die Vermutung anstellte, ihr Mann könne sich gut mit den Ameisen in seinem einzigen Langfilm »Phase IV« identifizieren, wie sie ebenso wie er durch Formen und Strukturen kommunizieren.

Als wir Bass zu seiner Arbeit als Gestalter von Vorspannen und einprägsamen Filmplakaten interviewten, wussten wir zwar, dass er auch in anderen Wirtschaftsbereichen tätig war – er hatte berühmte Firmenlogos (für Bell, AT&T, Warner Communications; ein Glanzstück schuf er zum 50. Jubiläum des japanischen Kameraherstellers Minolta, das mit dem Motiv der aufgehenden Sonne spielt) oder Tankstellen (für Exxon/Esso) entworfen. Etliche dieser Logos waren damals noch in Gebrauch (etwa die der Fluglinien United und Continental). Ästhetische Gültigkeit besitzen Bass' Corporate-Identity-Symbole immer noch, obwohl es zahlreiche dieser Firmen längst nicht mehr gibt. In Braunschweig sahen wir auch einige der kurzen Promofilme, die er im Auftrag von Kodak oder Kaiser Aluminium für deren Pavillons auf Weltausstellungen gedreht hatte. Die waren ganz eigenständig, er nutzte deren Mäzenatentum in »The Searching Eye« und »Why Man creates« als einen Freiraum für geistesgeschichtliche Erkundungsreisen, in denen das Produkt allenfalls eine untergeordnete Rolle spielte. Werblich waren diese Imagefilme nicht. Es sind Autorenfilme.

Wir hatten 1991 aber nicht einmal ansatzweise eine Vorstellung davon, wie umfangreich sein Schaffen in anderen Wirtschaftsbereichen als der Filmindustrie war. Es umfasst Hi-Fi-Anlagen, Kleenex-Packungen, das Geschenkpapier für ein japanisches Kaufhaus, Briefköpfe (er hatte in der Werbebranche als Typograf angefangen) oder Streichholzheftchen für diverse Unternehmen; er gestaltete auch Geschäftsberichte und musste alljährlich neue Formen finden, Wachstum zu visualisieren. Bass hat zudem Vorspanne für TV-Serien wie »Playhouse 90« und Frank Sinatras Show konzipiert; auf das Plattencover, das er für Sinatras »Tone Poems in Color« gestaltete, geht Martin Scorsese in seinem Vorwort ausführlich ein.

Eine schöne Trouvaille im Buch sind die Werbeanzeigen, die sich Bass und seine Mitarbeiter für Produktionsfirmen, Regisseure und Schauspieler ausdachten. Die Anzeige für Jack Palance erregte bestimmt Aufsehen in der Branche dank der Graphik eines Strickes, der jeden Augenblick zerreißen könnte. Auch über die Entstehung von Bass' Vorspannen habe ich viel Neues erfahren. Ich wusste, dass der für »Weites Land« (The Big Country) die Vorgeschichte erzählt, Gregory Pecks lange Reise in den Westen. Aber bisher hat mich Jerome Moross' mitreißende Titelmusik stets davon abgehalten, Bass' Montage genauer zu studieren: die Spannung zwischen der Energie der Nahaufnahmen der Räder und Pferdehufe und den Totalen, in denen die Postkutsche kaum voranzukommen scheint. William Wyler stellte ihm die Kutsche nur für einen Drehtag zur Verfügung. Natürlich sollte sie hinter sich eine Staubwolke aufwirbeln, aber leider hatte es am Vortag geregnet. Bass kam auf die Idee, so viele Mehlsäcke wie möglich im Wageninneren zu verstauen, deren Inhalt ein Mitglied seines Teams dann verstreute. Ich glaube, es gab kein Problem, für das er nicht die Lösung fand.

Das legt auf zumindest der Buchtext nahe, der von der Designhistorikerin Pat Kirkman und Bass' Tochter Jennifer stammt. Er ist keine Hagiographie, sondern eine kenntnisreiche Hommage: Reklame im ursprünglichen Sinne. Für Bass beansprucht er beispielsweise die alleinige Urheberschaft berühmter Szenen in Filmen, an denen er auch als Visueller Berater beteiligt war: den Duschmord in »Psycho«, die Schlachtszenen in »Spartacus« und die Autorennen in »Grand Prix«. Von den Regisseuren (Hitchcock, Kubrick, John Frankenheimer) bzw. ihren Biographen wurde sie in aller Regel bestritten; auch in einer Gemeinschaftskunst wird Ruhm manchmal nicht gern geteilt. Die Genese der Sequenz aus »Spartacus« schildert Bass einleuchtend: Erst wünschten die Produzenten, dass sie symbolisch erzählt wird; plötzlich stieg das Budget, nun sollte sie impressionistisch wirken; schließlich wurde das Budget nochmal erhöht, und er musste eine waschechte Schlacht gestalten. Ein Stück Konzeptkunst, in dem unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen. Bass legte besonderes Augenmerk auf die gegensätzlichen Strategien der römischen bzw. der Sklavenarmee: Die Anordnung der römischen Truppen ist eine Drohgebärde, also eine Geste der Kommunikation. Man muss diese Streitfälle nicht entscheiden um zu sehen, dass Bass ein Filmemacher von hohen Graden war.

Der affirmative Ton des Buches ist seinem Gegenstand angemessen. Bass' Kunst ist eine der Affirmation. Sie stellt sich selbstbewusst in den Dienst der jeweiligen Sache: Sie stiftet nicht nur Markenzeichen, sondern Identität. Sie ist eine Weltanschauung, deren Optimismus geschürte wurde von der künstlerischen Moderne und Roosevelts New Deal, der gerade wieder in aller Munde ist. Natürlich wurde Bass vom Bauhaus beeinflusst, entdeckte den Reichtum, dass Überflüssige fortzulassen. Seine Designs arbeiten meisterhaft mit dem Negative Space, sind reduziert, schillernd, lassen Raum für Ambiguität. Aber ich denke, er teilte auch dessen Überzeugung, dass Design die Welt verändern kann.

Seine Arbeit entstand an der Kreuzung von Technik, Wissenschaft und Phantasie. Sie sollte etwas voranbringen. Aus ihr spricht ein unerbittlicher Glaube an den Fortschritt. Ein amerikanischer Romantiker, der sich vom Elan der Nachkriegszeit tragen ließ, diesem aber auch immer ein Stück voraus war. Er verband sich mit den richtigen Leuten, zuvorderst Otto Preminger, der filmische Tabus brach und dem klassischen Studiosystem neue Vertriebsformen abtrotzte. Beim Lesen des Buches verdichtete sich ein Eindruck, der zuvor nur vage gewesen war. Saul Bass war ein Gegner der Kommunistenjagd der McCarthy-Ära. Er engagierte sich für einen Anwaltsverband, der gegen die Schwarze Liste klagte. Drei der Filme, an denen er als Vorspanngestalter beteiligt war, sind eng damit verbunden: »Storm Center«, in dem Bette Davis gegen eine Zensur in ihrer Bibliothek streitet, und natürlich »Exodus« sowie »Spartacus«, die das Ende der Schwarzen Liste einläuteten, als ihre Produzenten und Regisseure auf der Nennung des verfemten Dalton Trumbo im Vorspann bestanden. Bass war nicht nur ein Optimist der Form. Der Fortschritt, an den er glaubte, sollte auch ein gesellschaftlicher sein.

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