Ein blinder Fleck

Am Set von »Brüder« (2017). © SWR/Züli Aladağ

Es gibt Selbstverständlichkeiten, die so banal sind, dass man immer wieder an sie erinnern muss. Eine dieser unbestreitbaren, verschütteten Wahrheiten lautet: Ohne Drehbücher gibt es weder Kino- noch Fernsehfilme, weder Comedyshows noch Videogames. In gewissen Fernsehformaten bedarf sogar die Realität eines Skriptes. Auch die morgige Gala, bei der der Deutsche Fernsehpreis verliehen wird, wird nicht ohne Autoren auskommen, die Conférencen, Moderationen und Laudationes schreiben.

Aber in der deutschen Medienbranche dürfen manche Offensichtlichkeiten keine Sichtbarkeit erlangen. Das wurde in der letzten Woche wieder einmal deutlich, als in der Wochenzeitung »der Freitag« ein empörter Text von Kristin Derfler erschien, die zwar für ihr Drehbuch des Mehrteilers »Brüder« nominiert worden war, aber keine Einladung zur Preisverleihung erhalten hatte; angeblich aus »Platzmangel«. Die Autorin verlieh darin nicht nur ihrer verständlichen Kränkung Ausdruck. Sie zeichnete ein Sittenbild der systematischen Missachtung, die ihrem Beruf zuteil wird und entwarf beinahe die Utopie einer Medienlandschaft, in der es anders sein könnte. Sie scheute sich nicht, Grundlegendes wieder in Erinnerung zu rufen: Ihr Artikel steckt voller lesenswerter Banalitäten. Nachdem sie ihrem Unmut bereits auf Facebook Luft gemacht hatte, war ein kleiner Sturm der Entrüstung losgebrochen, der dazu führte, dass die Veranstalter der Preisverleihung nachträglich die nominierten Autoren einlud – allerdings als Gäste. Diese sollen nun offenbar fernab der Filmteams, mithin weit hinten im Publikum platziert werden. Wird man wenigstens den Anstand besitzen, die Preisträger dann auch auf die Bühne zu bitten? Oder dürfen der Regisseur, die Produzenten und Redakteure den Ruhm ernten?

Die Einladungspolitik der Preisstifter ist mehr als nur ein Fauxpas. Aus ihm spricht einerseits wohl die Sorge, Drehbuchschreiber seien nicht telegen genug. Was töricht und auch ziemlich egal ist, denn meines Wissens wird die Verleihung seit ein paar Jahren – das ist eine Ironie, die man sich getrost auf der Zunge zergehen lassen darf – überhaupt nicht mehr im Fernsehen übertragen. Dennoch lädt man bei solchen Gelegenheiten lieber die immer gleichen TV-Gesichter ein; auch die Moderatoren scheinen stets dieselben zu sein. Um für einen Moment mal in den ungalanten Kategorien zu bleiben, die für solche Veranstaltungen gelten: Nach dem im »Freitag« veröffentlichten Foto zu urteilen, würde Frau Derfler ohne Zweifel beträchtlichen Glanz in die Verleihung bringen, falls sie gewinnen sollte.

Entscheidender als derlei Trivialitäten ist eine womöglich noch größere Sorge: vor dem Drehbuchautor als Störenfried. Er ist der arme Verwandte, der nicht auf das Familienfoto gehört, für das die Branche so gern posiert. Im Scheinwerferlicht hat er nichts zu suchen, denn damit würde das System der Verleugnung durchkreuzt. Die Logik der roten Teppiche lässt hier zu Lande nur ein Vierergespann zu, das aus Star, Regisseur, Produzent und Förderinstanz besteht. In der öffentlichen Wahrnehmung sollen die Urheber gefälligst nur Gast-, aber kein Hausrecht genießen.

»Aufmerksamkeit ist unser aller Währung«, schreibt Kristin Derfler, was bestimmt richtig ist, aber etwas zu entschuldigend klingt. Im Kern geht es um Wertschätzung für ihr übrigens höchst ehrenwertes Metier. Diese scheint aus einer Replik auf den »Aufstand der Autoren« zu sprechen, die Leander Haußmann gerade in der »Welt am Sonntag« veröffentlicht hat. Sie liest sich ein wenig kokett und zuweilen auch gönnerhaft (gewiss ist mir die eine oder andere Ironie entgangen), liefert aber eine kluge Analyse der Verhältnisse. Diese »Wutrede« gibt sich kämpferisch und entlarvend, sie geißelt Ignoranz und Heuchelei. Nebenbei liefert sie eine schöne Beschreibung dieses Berufs. Wie es sich für eine provinzielle Branchenschelte gehört, blickt sie ins glücklichere Ausland und schwärmt von der Macht, die die Drehbuchautorengewerkschaft in Hollywood besitzt. Die kann den ganzen Betrieb durch einen Streik lahmlegen, wohingegen der deutsche Berufsverband Jahre dafür kämpfen musste, dass wenigstens im Berlinale-Programm nicht nur Regisseure, sondern auch Autoren genannt werden. Haußmanns Text hat leider einen fundamentalen Makel: Er stammt von einem Regisseur (der allerdings auch Autor ist). Einem Filmschaffenden, der »nur« Drehbuchautor ist, hätte kein Redakteur eine ganze Zeitungsseite eingeräumt. Natürlich ist diese Besetzung ebenfalls der Aufmerksamkeitsökonomie geschuldet. Aber wer so an dieses Thema herangeht, ist selbst Teil des Problems.

Wie nachhaltig (wenngleich eventuell unbewusst) die hiesige Filmbranche die Unsichtbarkeit des Drehbuchautors perpetuiert, wurde mir vor ein paar Jahren klar, als ich für die Website der Filmakademie eine Reihe von Interviews mit Vertretern unterschiedlicher Gewerke führen sollte. Jedes Berufsfeld wurde von einem eloquenten, charismatischen Gesprächspartner repräsentiert. Ich habe dabei enorm viel Aufschlussreiches über die Arbeit von Sounddesignern, Special-Effects-Zauberern, Kostüm-, Masken- und Szenenbildnern sowie Schauspielern erfahren. Zum Gewerk »Drehbuch« sollte ich jedoch eine Regisseurin interviewen (die auch eine gute Autorin ist).

Woher rührt dieser Impuls, den Autor in seiner Schattenexistenz zu belassen? Warum sollen seine Spuren verwischt werden? Es scheint fast so, als müsse ein Schandfleck getilgt werden. Ich vermute, daraus spricht eine große, schamvolle Verlegenheit. Es wäre denkbar, dass die Kreativität der Autoren insgeheim die Regisseure, Produzenten und Redakteure einschüchtert. Deren schöpferische Phantasie ist ja nachgeordnet; zumindest chronologisch. Der Urheber als Dorn im Auge derer, die ohne ihn brotlos wären? Auf jeden Fall gäbe es ohne die Geschichten, die von den ungebetenen Gästen erfunden wurden, weder Galas noch rote Teppiche.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt