Der Klang der Schwerter

Kiru (1962). © Kadokawa Pictures

Das Adjektiv »ehrbar« geht einem nicht so leicht über die Lippen, wenn man von einem Genre spricht, das vor Mordlust birst. Aber es fällt meist ein wenig leichter, wenn es kulturell, historisch und geografisch entrückt ist. Noch leichter wird es, wenn man über ein japanisches Filmgenre spricht.

Damit sind wir natürlich noch nicht wirklich aus dem Schneider. Heikel bleibt das Adjektiv dennoch. Die Gratwanderung wird deutlich, wenn man die Titeln zweier fast deckungsgleicher Filmreihen über Kampfkunstfilme vergleicht. Die Retrospektive der diesjährigen »Nippon Connection«, die vor einigen Wochen in Frankfurt stattfand, hieß noch »Elegance and Bloodshed«. Im Japanischen Kulturinstitut in Köln hingegen läuft sie bis zum 30. Juli unter dem Titel »Loyailtät und Kampfgeist«. In beiden Varianten klingt an, dass der japanische Schwertkampffilm von mehr als nur erbitterten Gefechten handelt. Die Akzentverschiebung ist jedoch aufschlussreich. Zwar kann man die Eleganz durchaus als einen moralischen Wert betrachten - insbesondere, wenn man das Schauspiel der Gewalt unbeschadet im Kinosaal verfolgt. Der Kölner Titel unterstellt den Samurai der Filme eine weit größere charakterliche Noblesse. Das ist einerseits triftig, denn im Kino ist der Schwertkampf eine Handwerk, in dessen Ausübung sich das Wesen des Kämpfers offenbart, und zugleich kühn gedacht, denn die Konflikte, die in den Filmen verhandelt werden, sind nie unverfänglich.

Gezeigt werden Beispiele aus den 1960er Jahren, als das Genre bereits Brüche aufweist und Entzauberungen erfährt. Es entfaltet sich in mannigfachem Zwiespalt. Aber cineastisch kann es allemal Ehre einlegen. Akira Kurosawas Talent, moralische Konflikte in den filmischen Raum zu übersetzen, ist zwar einzigartig. Aber in Masaki Kobayashi findet er einen brillanten Rivalen, dessen agile Kamera die Figuren zuerst im Dekor erfasst, bevor sie ihre Bewegungen umsichtig auf ihn abstimmt. In »Samurai Rebellion« (1967) werden die statischen Hierarchien der Gesellschaft in dem Verharren auf festgelegten Positionen kenntlich, wo sich die Blicke der Akteure nicht begegnen sollen.

Zu Beginn der 60er erlebt das von den amerikanischen Besatzern anfangs geschmähte Genre eine kommerzielle Renaissance, die durch die Kassenerfolge von Kurosawas »Yojimbo« sowie »Zatoichi« eingeleitet wird (das erste, bald in Serie gehende Abenteuer des blinden Masseurs, in dessen Stock sich eine todbringende Klinge befindet, über verblüffende Fähigkeiten als Glücksspieler verfügt, läuft allerdings nicht, dafür aber andere Filme von Kenji Misumi). Die Filme prunken mit charismatischen Darstellern wie Toshiro Mifune und Tatsuya Nakadai und profitieren, ebenso wie der Yakuza-Film in dieser Epoche, von einer freizügigeren Gewaltdarstellung, die zuvor nie eine solch orgiastische Anschaulichkeit gewinnen konnte; weshalb ihr Besuch in Köln auch erst ab 18 Jahren erlaubt ist. Die Gattungsbezeichnung chambara (auch chanbara) ahmt übrigens, das wusste ich vorm Lesen der Programmankündigung noch nicht, das Geräusch sich kreuzender Klingen lautmalerisch nach.

Die Würde eines Genres erweist sich auch darin, dass es sich wie ein Kaleidoskop betrachten lässt: Je nach Blickwinkel lässt es unterschiedliche Brechungen zu. Der japanische Schwertkampffilm schöpft aus einem begrenzten Themenkatalog großen erzählerischen Reichtum, in dem er die Perspektiven weit auffächert. Dabei ist er eine hoch ritualisierte Gattung, die von dramaturgischen Unumgänglichkeiten beherrscht wird. Eine der Konventionen besteht darin, dem endgültigen Sieg des Helden die Komplikation voranzustellen, dass er gegen einen in der Kampfkunst ebenbürtigen, herrenlosen Samurai antreten muss, der sich aus Not auf der falschen Seite verdungen hat. Das ist oft ein Stellvertreterkampf, der nicht auf Feindseligkeit beruht, sondern das unausweichliche Kräftemessen von Seelenverwandten ist. Es gibt mithin so etwas wie eine Pflicht der Erzählung, aber selbstverständlich auch die Kür.

In der Choreographie der Actionszenen entfaltet sich ein beherrschter, sozusagen vorbehaltlicher Bewegungsrausch. Sie gehorchen einem strengen Rhythmus von innerer Sammlung, Gewalt und wiedergewonnener Ruhe: Lauernde Reglosigkeit gebiert brüske Beschleunigung. Der Kämpfer will dem Tod dank seines Geschicks zuvorkommen, den letzten, lebensgefährlichen Hieb abzuwehren (oder ihn seinerseits zu vermeiden, wenn er Gnade walten lassen will). Den Furor muss er in sich selbst ausklingen lassen, in dem er die Waffe rasch zurück in seinen Gurt steckt; es ist ihm keine überflüssige Geste gestattet.

Oft spielen die Filme in einem Epochenwechsel, dem Ende der Edo-Ära. Das Shogunat befindet sich im Niedergang, die Armut ist groß; die Schande, die es für einen Samurai bedeutet, sein Schwert versetzen zu müssen, ist ein häufiges Motiv. Kihachi Okamotos düsterer »Sword of Doom« (1965) schildert ein Klima der spirituellen Leere, welches das Leben der ausgedienten Kämpfer bestimmt. Ein Lehrmeister gibt seinem Schüler den Rat, die einzige Chance, einen aussichtslosen Kampf zu gewinnen, liege darin, selbst sterben zu wollen. Die Mordlust, welche die Klanfürsten fordern, lässt sich nicht mehr ohne Weiteres mobilisieren. Moderne Schusswaffen werden, wie sich in »Yojimbo« ankündigt, ohnehin bald den Schwertkampf ablösen und den Stand der Samurai vollends überflüssig machen. Aber die sentimentalen Schwanengesänge auf eine untergehende Lebensweise und deren Wertvorstellungen sind in der Filmauswahl kam zu finden. Nachdrücklich entlarvt der überzeugte Kommunist Kobayashi die Unmenschlichkeit des martialischen Ehrenkodex, des bushido, an dem zuvor nicht einmal Kurosawa je ernsthaft gerüttelt hat.

Es ist ein grimmiges Genre, das zuweilen heitere, ja burleske Zwischentöne zulässt. Kurosawa lässt auf »Yojimbo« den schelmische Fortsetzung »Sanjuro« folgen. Mifune ist ein Genredarsteller, dem beide Register liegen. Den Samurai-Filmen Kihachi Okamotos ist anzumerken, dass der Regisseur in seiner Jugend vor allem französische Komödien und amerikanische Action-Filme geliebt hat. Seine späteren Arbeiten, darunter »Kill« (1967, nicht in Köln zu sehen) sind getarnte Italowestern, die den traditionellen Erzählgestus ironisch unterlaufen. Das ist in »Sword of Doom« allenfalls zu erahnen. Da gerät sein Held in einen Blutrausch, der nachgerade nihilistisch ist. Aber sehr elegant.

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