Wie man zu einem Engländer wird

»Abschied« (1930). © Deutsche Kinemathek

Einer der schönsten Filmtitel aller Zeiten, daran besteht für mich kein Zweifel, lautet »Dann schon lieber Lebertran«. Er ist wunderbar verschmitzt. Jüngere Zuschauer können natürlich nicht ahnen, wie viel kindliche Seelennot aus ihm spricht. Zum Glück haben Ernährungswissenschaftler das grauenhafte Öl schon lange vom Speiseplan Heranwachsender gestrichen.

Bedauern muss man vielmehr, dass es den Film nicht mehr gibt. Er gilt zumindest als verschollen. Das ist schon insofern verdrießlich, weil das Drehbuch von Erich Kästner und Emeric Pressburger stammt und Max Ophüls Regie geführt hat. Vielleicht taucht doch irgendwo einmal eine Kopie auf, schließlich war er nur zwei Rollen lang. Ich bezweifle, dass dies noch rechtzeitig zur kleinen Hommage passieren wird, die das Jüdische Filmfestival Berlin & Brandenburg Emeric Pressburger ab Dienstag ausrichtet - andererseits darf im filmischen Kosmos des Drehbuchautors stets mit dem Unmöglichen gerechnet werden. Die überschaubare Würdigung – vier Filme sowie eine Dokumentation (»The Making of an Englishman« von seinem Biographen und Enkel Kevin McDonald), dafür hätte es eigentlich keines eigenen Kurators bedurft – ist wohl dem anstehenden 100. Jubiläum der UFA zu verdanken. Mithin besitzt die Filmreihe eine gewisse Symmetrie: zwei Beispiele seiner Arbeit in Deutschland, zwei aus dem Exil.

Von den zwei UFA-Produktionen ist »Emil und die Detektive« die bekanntere. Mindestens ebenso reizvoll ist jedoch »Abschied«,den Robert Siodmak, auch er später ein erzwungener Kosmopolit, 1930 realisierte. Es ist Pressburgers erster Crdeit: einer der schönsten Pensions-Filme, ein Ensemblestück von drangvoller Enge, ein früher Tonfilm von fast kakophonischer Vielstimmigkeit. In Deutschland wirkte er an knapp einem Dutzend Filme mit. Im Exil, das ihn zunächst nach Frankreich führte, ist die Auswahl größer. Man hat sich für zwei Zusammenarbeiten mit dem Kinomagier Michael Powell entschieden. Das lag nahe. Von 1939 an bildeten sie eines der großen, inspirierten Gespanne der Filmgeschichte. Aus Powells Lebenserinnerungen ist mir vor allem eine Bemerkung zu seinem Freund in Erinnerung: Irgendwann stellte er fest, dass sein Partner keine Einladungen annahm. Der Exilant wollte nie mehr Gast sein, sondern nur noch Gastgeber.

»Black Narcissus«, die Adaption des Romans von Rumer Godden, ist ein bahnbrechender Technicolor-Film, der wie viele ihrer Stoffe von der Begegnung unterschiedlicher Kulturen handelt. Eine Gruppe britischer Nonnen erliegt der Verführungskraft der Atmosphäre, des Lichtes, des Windes und der Farben hoch oben im Himalaya, dessen Erhabenheit in den Studios von Pinewood und einem Garten in Sussex rekonstruiert. Das Drehbuch ist vergleichsweise geradlinig, verzichtet aber nicht ganz auf erzählerische Arabesken und muss ein fabelhaftes Sprungbrett für Powells visuelle Vorstellungskraft gewesen sein. Aber vielleicht stand die hysterische Rotblende (statt einer schwarzen) schon auf dem Papier.

Eigentlich war Pressburgers Phantasie vagabundierender, konstruierte er seine Szenarien exzentrischer, launenhafter. »A Canterbury Tale« wäre ein prächtiges Beispiel für seinen Stil gewesen. But »The Life and Death of Colonel Blimp« fits the bill just as well. Hoffentlich läuft der Film in der restaurierten Fassung, die vor einiger Zeit auf der Berlinale zu sehen war und die ihm seine ausgeklügelte Farbdramaturgie prächtig zurückerstattet. Diesen Film hätte es eigentlich nicht geben dürfen; zumindest, wenn es nach Winston Churchill gegangen wäre. Den Premierminister ärgerten die satirischen Widerhaken, die er in die Seele des britischen Militarismus' schlug. Als Propaganda war er untauglich, denn er beschwor 1943 die unverbrüchliche, drei Kriege überdauernde Freundschaft eines britischen Offiziers zu seinem skandalös sympathischen deutschen Gegenstück. Im Kern ist dieser entschieden europäische Film eine Meditation über das Altern und die Treue zu Sehnsüchten und Idealen. Adolf Wohlbrück spielt den Deutschen mit schneidiger Melancholie. Als er hochbetagt vor den Nazis nach England flieht, halten ihn die Behörden für einen Spion. Seine Erwiderung nimmt sich das Privileg heraus, auch in schweren Zeit noch zu träumen: »Es ist töricht, aber ich erinnerte mich einfach an die englische Landschaft.« Aber zitieren wird doch lieber im Original, weil man dann Wohlbrücks Stimme und Pressburgers kosmopolitische Wehmut besser im Ohr hat: »Rather foolishly, I was thinking of the English countryside.«

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