Eine Charakterschönheit

Ronit Elkabetz in »Get: Der Prozess der Viviane Amsalem« (2014)

Es mag vielleicht ungalant sein, von einer Regisseurin zu sprechen und zuallererst ihre Schönheit zu rühmen. Aber Ronit Elkabetz war auch Schauspielerin. Und in diesem, ihrem ersten Beruf zählt der erste Eindruck ja durchaus. Ihre Schönheit war kein bloßer Anschein, sondern Ausdruck eines starken Charakters.

»Die Rolle der schönen Frau hat mich nie angezogen,« sagte sie allerdings vor 12 Jahren im Interview mit der Zeitung »Le Monde«, »sondern die Schwierigkeit, der Schmutz, die Wunde.« Ich glaube, wir haben beide Recht. 2004 war das Jahr, in dem ich sie zum ersten Mal auf der Leinwand wahrnahm, in »Or« von Keren Yedaya, wo sie eine müde gewordene Prostituierte spielt. Da wirkt ihre Figur schon fast erloschen, und sie spielte ihre Schönheit nicht dagegen aus. Berückend war der Eindruck dennoch, den sie hinterließ. Im gleichen Jahr drehte sie gemeinsam mit ihrem Bruder Shlomi einen Film, den ich 2005 auf der viennale als »Prendre femme« kennenlernte. Der israelische Titel geht mir nicht so leicht von der Hand; zu diesem Zeitpunkt allerdings befand sich ihre Karriere auch schon im Transit nach Frankreich, wo sie beinahe ebenso häufig arbeitete wie in ihrer Heimat. In André Téchinés »La Fille du RER« hatte sie eine nicht allzu große, aber charismatische Rolle.

Mit »Prendre femme« schlug sie mich endgültig in ihren Bann: Faszinierend, wie sie da als Viviane aufleuchtet in der bedrängenden Enge der Kadrage, der Klaustrophobie der Geschlechter- und Familienverhältnisse! Für ihre Leinwandpartner, selbst für Gilbert Melki und den großen Simon Abkarian, hatte ich kaum einen Blick. Der Film war der Auftakt einer Trilogie, die mit »Gett: Der Prozess der Viviane Ansalem« ihren Abschluss fand. Die enge Symbiose, die sie mit ihrem Bruder Shlomi als Co-Regisseur einging, ist faszinierend. Drehbücher schrieb sie schon seit 1994. »Gett« kam im letzten Jahr auch in unsere Kinos. Sonst waren Ronit Elkabetz' Filme allenfalls auf Festivals oder auf arte zu entdecken, mit Ausnahme von »Die Band von Nebenan«, wo sie mit der Nonchalance einer israelischen Lauren Bacall auftritt. Über die Jahre konnte man mitverfolgen, wie sich ihr Gesicht wandelte. Es nahm einen strengen, herben Zug an, der gut zu ihrer rauen Stimme passte. In ihren Rollen verlieh sie immer wieder der Zerrissenheit ihres Landes und ihrer Kultur Ausdruck. (Ihre Familie war ein Jahr vor ihrer Geburt aus Marokko eingewandert.) Das gilt nicht zuletzt für den Part der Premierministerin im TV-Mehrteiler »Stadt ohne Namen«, der im Februar auf arte lief.

Ihre Karriere als Schauspielerin begann 1990, nach ihrem Militärdienst, als sie auf der Straße zufällig an der Einladung zu einem Casting vorbeikam. Sie glaubte, es handele sich um einen Werbeclip. Aber die Casting-Agenten klärten sie auf, es ginge um eine »Fiktion«. Das Wort kannte sie bis dahin noch gar nicht. Eine sehr schöne Geschichte. Wie traurig, dass ihre Fortsetzung nur 25 Jahre dauerte, denn gestern ist Ronit Elkabetz einem Krebsleiden erlegen.

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